Intendantin Tuttle: «Je mehr die Debatte sich radikalisiert, desto dringender brauchen wir einen Ort für differenzierte Gespräche.»
Intendantin Tuttle: «Je mehr die Debatte sich radikalisiert, desto dringender brauchen wir einen Ort für differenzierte Gespräche.» Foto: Jens Kalaene/dpa

Berlin (dpa) – Nach den Antisemitismus-Vorwürfen im vergangenen Jahr will die neue Berlinale-Chefin Tricia Tuttle das Filmfestival zum Ort des offenen Dialogs machen. «Je mehr die Debatte sich radikalisiert, desto dringender brauchen wir einen Ort für differenzierte Gespräche», sagte die Intendantin der «Neuen Osnabrücker Zeitung». 

«Darum drehen sich all unsere Team-Absprachen, darauf trainieren wir die Moderatoren und dafür sensibilisieren wir auch unsere Gäste.» Man fordere ein respektvolles Gespräch und bestehe darauf, dass jeder seine Meinung äußern dürfe, sagte die Amerikanerin.

«Natürlich sehe ich eine rote Linie, wo es in den Antisemitismus kippt», sagte Tuttle. «Gleichzeitig ist es wichtig, im Gespräch zu bleiben und Komplexität zuzulassen.» Nach der Abschlussgala 2024 hatte es Kritik bis hin zu Vorwürfen von Israelhass und Antisemitismus gehagelt.

Tuttle kritisiert die Gala von 2024 als einseitig 

Tuttle, die letztes Jahr noch nicht Berlinale-Chefin war, sagte, 2024 seien Fehler gemacht worden: Es sei nicht der Pluralismus erreicht worden, für den das Festival stehe. «Einem Teil unserer Community gegenüber haben wir es an Mitgefühl mangeln lassen. So einseitig wie auf der Preisgala dürfen wir nicht noch einmal werden.»

Als Beispiel nannte sie den Schauspieler David Cunio, der 2013 einen Film auf der Berlinale gehabt habe und nun Geisel der islamistischen Hamas sei. «Wenn wir auf der Gala für ihn eingetreten wären – worum wir mehrfach gebeten wurden -, dann hätte es den Tonfall des Abends schon verändert.» In diesem Jahr zeige man den Film «A Letter to David», der von David Cunio handele.