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Eine Kolumne von Stefan Bartylla

Die Angebote in meiner Stamm- Markthalle Neun werden stets von guten Nachrichten begleitet: Lammfleisch vom Biobauern, Eier von glücklichen Hühnern und Honig von geschützten Bienen mischen sich mit Leckereien wie Gin made in Berlin, Wein aus biologischem Anbau und Burger mit hippen Namen. Alles gut und kostspielig.

Kein Ersatz

Doch dieser Rummelplatz nachhaltiger Köstlichkeiten begeistert meine 82-jährige Nachbarin überhaupt nicht mehr.

Ihr fehlt das Regal mit Mehl, ein Sortiment an verpacktem Kaffee und die Packung Toastbrot, die sie zu rentenfreundlichen Preisen hier früher beim Hallen-Aldi kaufen konnte. Dieser Discounter musste weg, ein Drogeriemarkt zog ein.

Freche Ratschläge

Der Markthallenbetreiber wirbt mit eigener „Philosophie“ vom „Anders-Essen“. Er weiß um das Problem meiner Nachbarin und der vielen anderen Senioren ringsum und erteilt Ratschläge auf einem Flugblatt, das auf der Litfaßsäule am Rande der Halle klebt.

1. Rat: „Der nächste Lidl mit seinem wesentlich größeren Angebot ist gut erreichbar und nur 300 Meter von der Markthalle Neun entfernt.“

2. Rat: „Zusätzlich bietet auch das Start-up-Unternehmen Gorillas die Lieferung von über 1.000 Lebensmittel- und Non-Food-Artikeln zu Supermarktpreisen innerhalb von zehn Minuten an.“

Regional schützen

Besser kann Ausgrenzung in einer Markthalle mit 130-jähriiger Versorgungstradition nicht formuliert werden.

Ja, es ist wichtig, unsere Welt so zu erhalten, dass die Eisbären in der Antarktis, die Wale im Atlantik und die Bienen in der Stadt gut leben können.

Aber das Wohl meiner Nachbarin, die nur mithilfe ihres Rollators den Discounter erreicht, hat mindestens dasselbe Verständnis verdient wie die vielen Wunder der Natur, die wir mit dem neuen, nachhaltigen Zeitgeist schützen wollen.

Bild: Stefan Bartylla