LITERATUR Der Autor und Musiker Thorsten Nagelschmidt guckt am Stück „Die Sopranos“ und schreibt darüber
Jochen Schmidt hat Proust gelesen, am Stück, und daraus ein Buch gemacht. Thorsten Nagelschmidt guckt sich „Die Sopranos“ an, am Stück, 86 Episoden, verteilt auf sechs Staffeln. Kann man machen, denn diese TV-Serie von David Chase, die zwischen 1999 und 2007 für den Bezahlsender HBO entstand, gilt als ein Meisterwerk der Popkultur. Erzählt wird die Geschichte einer ganz normalen Familie, die in New Jersey lebt, nur eben mit dem Unterschied, dass dies eine Mafia-Familie ist. Oberhaupt Tony Soprano ist ein gechillter, freundlicher Typ, dem dieses ewige Leutebedrohen und Menschenfolternunderschießen gehörig auf die Ketten geht. Aber was will man machen? So ist nun mal die Jobbeschreibung.
Elf Tage gibt sich Nagelschmidt nun für dieses gepflegte Bingewatching Zeit und nistet sich zu diesem Zweck in ein All-inclusive-Hotel auf Gran Canaria ein. Es wird die Beschreibung einer existenziellen Einsamkeit, gegen die Tony Sopranos Jobdepression wie eine leichte Erkältung wirkt. Denn unausweichlich beginnt Nagelschmidt, die TV-Familie mit der eigenen zu vergleichen, der er bereits seit Jahren mit Absicht über die Weihnachtsfeiertage ausweicht.
Imitiert die Kunst das Leben oder umgekehrt? Nagelschmidt ist hier – bei aller Melancholie – ein wunderschönes, fast schon heiteres Buch gelungen, in dem sich populäre Kultur und echte Depressionen aufs Schönste miteinander vermischen.
(… und dieser Rezensent freut sich jetzt auch schon auf ein Wiedersehen mit Tony, Camilla, Silvio und Onkel Pussy, vielleicht auch zu Weihnachten.)
Text: Lutz Göllner

