Kerstin Lucas aus Hohenschönhausen bemalt Eier – und zwar nicht nur für Ostern. Ihre große Inspiration ist Japan.
Auf dem Arbeitstisch ist ein Gänseei an einem Holzspieß befestigt. Es ist halb bemalt, ein Wasserfall bereits zu erkennen. Nun betupft Kerstin Lucas das Ei behutsam mit einem in grüner Farbe getränkten Pinsel – ein Strauch entsteht. Das jüngste Werk der Hohenschönhausenerin sieht japanisch aus. Tatsächlich stammt die Vorlage – „Der Ono-Wasserfall an der Kiso-Straße“ – von Katsushika Hokusai, einem japanischen Maler des 18. und 19. Jahrhunderts.
Zweite Heimat Japan
„Mein Anliegen ist es, mit den Eiern diese Kunst bekannter zu machen“, sagt Kerstin Lucas, die in einem Haus in der Siedlung Wartenberg lebt und malt – ganz am Stadtrand von Berlin. Ihre künstlerische Ader entdeckte sie schon als Kind. Doch die Eier, Karten und Origami-Faltarbeiten, die die Rentnerin heute gestaltet, wären nicht denkbar ohne ihre tiefe Verbindung zu Japan. Schon in der Kindheit hatte sie Kontakt zu Japanern und war fasziniert von den Menschen. Später flog sie als Stewardess der DDR-Fluggesellschaft Interflug besonders gerne in das Land im Fernen Osten. Bis heute hat Kerstin Lucas Freunde in Japan und reist mit ihrem Mann möglichst jedes Jahr dorthin.
„Ich habe die Japaner gesehen, wie sie lachen, singen, tanzen und Sake trinken“, sagt sie und hebt auch den japanischen Humor hervor. Es gibt wohl wenige Deutsche, die kompetenter wären, dies zu beurteilen. Die Künstlerin ist nicht nur von den Menschen begeistert, sondern von der gesamten japanischen Kultur und Geschichte.
In ihrem Wohnzimmer hängt ein kleiner Schrein. Kerstin Lucas ist Anhängerin von Shingon-shu, einer japanischen Schulrichtung des Buddhismus. Im Garten steht ein kleines Teehaus, in dem sie Zeremonien abhält und ihren Gästen auf traditionelle Weise zubereiteten Tee kredenzt. Innen ist es so ausgestattet, wie man es sich im Original vorstellt: mit Sitzkissen, japanischen Matten und Bildern.
Wie alles begann
Einen großen Teil der Inspiration für ihre Kunst bekommt Kerstin Lucas aus der japanischen Kultur. Wasserfälle – wie auf ihrem jüngsten Ei – werden im Shintoismus als Götter angesehen. Andere Motive sind etwa Menschen in Kimonos, Vögel, Pflanzen oder Landschaften. Angefangen hat alles mit Eiern, die sie für ihre Familie mit Origami-Mustern bemalte. Diese wurden schnell beliebt und irgendwann fragte Christian Wagner, der Macher des Japan Festivals in der Urania, an, ob die Künstlerin ihre Eier dort verkaufen wolle. Das funktionierte bis zur Corona-Pandemie sehr gut. Schon bei der ersten Teilnahme waren die kleinen Kunststücke im Nu weg.
Heute verkauft Kerstin Lucas ihre Werke erfolgreich unter dem Namen „Tamagoya“ – japanisch für Eier – über den eigenen Online Shop. Pro Jahr gestaltet sie über 400 Eier, rund 300 davon werden derzeit verkauft. Längst nicht alle als Ostergeschenke – viele ihrer Kunden ließen die Eier das ganze Jahr über hängen, erzählt Kerstin Lucas. Sie nutzt ausschließlich Natureier von verschiedenen Hühnersorten, Enten, Puten, Gänsen, Schwänen, Nandus, Wachteln und Fasanen. Die Eier sind Überschussware, die sie von einem Betrieb in Schleswig-Holstein bezieht.
Malen und schreiben
Die Arbeit der Künstlerin beginnt mit der Motivsuche. Davon hängt die Auswahl des Eis ab: Für große Motive ist etwa ein Zwergwachtelei ungeeignet. Zunächst wird das Ei mit Farbe und viel Flüssigkeit grundiert. Die Feinarbeiten, Tupfen und Striche, macht Kerstin Lucas mit einem ihrer 20 bis 30 Pinsel. Wenn die Farbe getrocknet ist, werden die Eier bis zu dreimal mit Klarlack behandelt. Das erhöht die Bruchfestigkeit. Jedes Ei, das so entsteht, sei ein Unikat, sagt Lucas.
Ein weiteres Projekt, das ihrer Faszination für Japan entspringt, ist eine Roman-Trilogie über die Muromachi- und Sengoku-Zeit im 15. und 16. Jahrhundert. In diese Epoche fällt ein rund 100 Jahre andauernder, brutaler Krieg. Aber damals lebte auch ein Shogun – ein japanischer Adliger – der die Higashiyama-Kultur begründete. Ihr verdanken wir laut Lucas etwa Teezeremonien, Tuschmalereien oder Haiku, die inzwischen weltweit beliebte Gedichtform. Irgendwann will die Autorin den Roman, an dem sie seit 2004 recherchiert und seit 2021 schreibt, über „Books on Demand“ veröffentlichen.
Wer sich selbst ein Bild von den fernöstlichen Kunststücken aus dem Berliner Osten machen möchte: Am 15. April, von 10 bis 13 Uhr, verkauft Kerstin Lucas ihre bemalten Eier im Siedlerheim Wartenberg, Straße 5, Nr. 74.