Ein Schüler sitzt über seinen Mathematikaufgaben.

Schulpflichtige Kinder aus sozial schwachen Familien trifft die Coronazeit besonders schwer. Oft fehlt es nicht nur an der nötigen technischen Ausstattung, auch psychischer Stress und angespannte Situationen zu Hause machen den Kindern zu schaffen.

Die Coronalage an Berliner Schulen spitzt sich weiter zu. Derzeit gilt zwar eine Präsenzpflicht mit Maske und ausreichendem Lüften, jedoch weiß niemand, wie lange dieses Konzept  aufrechterhalten werden kann. Nun steigt die Angst, dass die Schulen wieder komplett schließen müssen. Bis zu den Weihnachtsferien, die in Berlin am 23. Dezember 2021 starten, gilt auf jeden Fall: Jeder, der schulpflichtig ist, muss auch zur Schule. Die Präsenzpflicht vor den Feiertagen wurde unter Politikern heiß diskutiert und kritisiert.

Probleme für sozial schwache Kinder

Ob und wie es an Berliner Schulen im Januar weitergeht, kann dagegen noch nicht abgeschätzt werden. Die Hilflosigkeit der ersten zwei Lockdowns ist immer noch allgegenwärtig. Dies gilt besonders für Kinder aus sozial benachteiligten Familien.

Der Leiter und Gründer des Kinderhilfswerks „Arche“, Bernd Siggelkow, hat im Interview mit dem Berliner Abendblatt erklärt, wo die Probleme liegen, welche Auswirkung sie haben und was er von der Regierung fordert.

Moralische Stütze

Seit dem ersten Lockdown im März 2020 haben die Pädagogen und freiwilligen Helfer der Arche 600 benachteiligte Kinder und ihre Familien zu Hause besucht. Hierbei wurden nicht nur Lebensmittel und die vom Staat versprochenen PCs und Smartphones zur Teilnahme am Home-Schooling verteilt, vielmehr betitelt Siggelkow seine Besuche als „moralische Stütze, da es viele Probleme in dieser Zeit gab“.

Der Gründer und Leiter der Arche erklärt, dass das Problem oft zu Hause anfängt: „Viele benachteiligte Menschen haben das Problem, dass sie nur in den Tag hineinleben, dass sie sich gar keine Gedanken machen. Die Kinder dieser Familien werden keinen Psychologen oder Arzt sehen, um ihre Probleme aufzuarbeiten,. Hier helfen wir.“

Kinder sind überfordert

Diese Probleme sind laut Siggelkow sehr vielschichtig. Einerseits hat er bei den Kindern Gewichtszunahmen bemerkt, was auf die Schließung der Sportstätten und das Ausbleiben des täglichen Schulessens zurückzuführen war. Mit dem ohnehin knappen Geld konnten sich die Familien eine ausgewogene Ernährung oft nicht leisten.

Darüber hinaus berichtet der Pastor besorgt von der steigenden Gewaltbereitschaft der Kinder. Die meisten Kinder der Arche leben mit mehreren Geschwistern in einer kleinen Wohnung. Sie hatten weder einen eigenen Rückzugsort noch „ein Ventil, an dem sie ihre Frustration ablassen konnten“. So habe eine Mutter ihn um 23 Uhr hilfesuchend angerufen, weil ihre achtjährige Tochter sie erwürgen wollte. Ein Beispiel dafür, wie überfordert die Kinder mit der Situation waren und immer noch sind.

Einzelunterricht für Lernschwache

Siggelkow ist überzeugt, erneute Schulschließungen dürfe es auf keinen Fall geben. Andernfalls wird die Schere zwischen geförderten und nicht geförderten Schulkindern immer weiter auseinander gehen. Er erklärt: „Es muss in das Bildungssystem investiert werden. Einzelunterricht, der die Kinder dazu befähigt, dem Klassenverband zu folgen, das ist eine große Herausforderung.“ Ohne dementsprechende Maßnahmen, beteuert Siggelkow, werden Kinder erzogen, die die Verlierer der Zukunft werden.

Mangelnde Kapazitäten

Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie erklärt dagegen, dass Einzelunterricht aus „Kapazitätsgründen nur schwer einzurichten“ sei. Stattdessen hat der Senat das Programm „Stark trotz Corona“ auf die Beine gebracht, mit dem die in der Pandemie verursachten Lernrückstände von Schülern abgebaut sowie Kinder und Jugendliche gleichzeitig psychosozial gestärkt werden sollen. Laut Senat stehen für die Umsetzung des Programms insgesamt 64 Millionen Euro aus Mitteln des Bundes zur Verfügung. Des Weiteren teilt der Senat mit, dass 50.000 Tablets an sozial benachteiligte Schüler ausgegeben wurden.

Text: Felicia Okcu, Bild: IMAGO / Fotostand