Die ehemalige RAF-Terroristin Daniela Klette wirkt am ersten Prozesstag gelassen.
Die ehemalige RAF-Terroristin Daniela Klette wirkt am ersten Prozesstag gelassen. Foto: Wolfgang Rattay/Reuters/Pool/dpa

Verden/Celle (dpa) – Jahrzehnte lebte die mutmaßliche Räuberin und frühere RAF-Terroristin im Untergrund, nun betritt Daniela Klette freundlich lächelnd den Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Celle. Die weißhaarige, ungeschminkte Frau trägt einen schlichten, schwarzen Pullover. Sie wirkt gelassen und gut gelaunt. Zur Begrüßung umarmt die 66-Jährige ihre Verteidiger in einem Glaskasten, der eigentlich für Angeklagte in Terrorismusverfahren vorgesehenen ist. 

In dem mit Panzerglas gesicherten Raum wird Klette wahrscheinlich viele Tage verbringen. Vor ihr liegt ein langer Prozess – unter anderem wegen 13 Raubüberfällen und versuchten Mordes. Aus Sicherheitsgründen wird nicht in den Räumen des Landgerichts Verden verhandelt, sondern im Oberlandesgericht Celle. 

Schon der erste Prozesstag dauert länger als geplant. Am Nachmittag meldet sich Klette erstmals persönlich zu Wort: «Dieser Prozess wird mit politischem Kalkül geführt», kritisiert die gebürtige Karlsruherin und bedankt sich bei ihren Unterstützern. Am Morgen demonstrierten rund 40 Menschen vor dem Gerichtsgebäude. Einer Unterstützerin, die im Saal den Prozess verfolgt, winkt sie zu. Beide lächeln sich immer wieder aufmunternd an.

Raubüberfälle in drei Bundesländern?

Einiges aus der Anklageschrift, die zwei Staatsanwältinnen gut anderthalb Stunden vortragen, war bereits vorab bekanntgeworden. Die Staatsanwaltschaft wirft der Deutschen versuchten Mord unter anderem aus Habgier vor. Die Anklage spricht zudem von versuchtem und vollendetem schweren Raub als «Mitglied einer Bande» sowie von unerlaubtem Waffenbesitz. 

Demnach soll Klette die Überfälle gemeinsam mit Ernst-Volker Staub (70) und Burkhard Garweg (56) begangen haben, die wie sie der sogenannten dritten Generation der linksextremistischen Rote Armee Fraktion (RAF) zugerechnet werden. Wo sich die beiden Männer aufhalten, ist unbekannt. Bei den Überfällen soll Klette meistens das Fluchtauto gefahren haben.

Nach den Ermittlungen sollen Klette und ihre Komplizen von 1999 bis 2016 Geldtransporter und Kassenbüros von Einkaufsmärkten in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein überfallen haben. Dabei sei das Trio «arbeitsteilig und äußerst konspirativ» vorgegangen, sagt die Erste Staatsanwältin Annette Marquardt. 

Perücken, falsche Schnurrbärte und Waffen

Demnach plante die Bande ihre Verbrechen genau, mietete unter falschen Namen Fahrzeuge, spähte die Tatorte aus und fertigte davon Zeichnungen an. Laut Anklage verkleideten sich die Tatverdächtigen mitunter mit Perücken und falschen Schnurrbärten. Manchmal trugen sie Sturmhauben oder verdeckten ihre Gesichter mit Tüchern. 

Klette, Garweg und Staub hätten die zeitintensive Planung und die Ausführung der Raubüberfälle als ihre Arbeit angesehen, sagt die Staatsanwältin. Demnach wollten sie mit den Straftaten ihren Lebensunterhalt finanzieren. Bei den Taten sollen sie mehr als 2,7 Millionen Euro erbeutet haben.

Um Widerstände zu überwinden, hatte das Trio den Ermittlungen zufolge Waffen dabei: Eine täuschend echt aussehende Panzerfaust, Elektroschocker und Pistolen. Laut Anklage bedrohten die drei ihre Opfer. 

Wie eine freundliche Nachbarin

Im Gerichtssaal zeigt sich die Angeklagte aufmerksam und gelassen. Sie hört ruhig zu, manchmal stützt sie ihren Kopf in die Hände. Beim Betreten des Saals hat sie einen schwarzen Beutel mit der Aufschrift «Kultursack» dabei. Die 66-Jährige wirkt wie eine freundliche Nachbarin.

Die Verteidigungsstrategie der drei Klette-Anwälte wird schon am ersten Prozesstag deutlich. Sie sprechen von einer öffentlichen Vorverurteilung. Es werde nicht berücksichtigt, dass sich die RAF 1998 aufgelöst habe. Die Anklage durchziehe der «denunziatorische Grundgedanke, dass es sich bei der Angeklagten um eine skrupellose Schwerverbrecherin handelt», sagt Ulrich von Klinggräff. Die Verteidiger weisen den Vorwurf zurück, Klette habe billigend in Kauf genommen, dass bei den Überfällen auch Menschen getötet werden könnten.

Anwälte sprechen von öffentlicher Vorverurteilung

«Die gesamte öffentliche Vorverurteilung steht in Zusammenhang mit der RAF», sagt die Anwältin Undine Weyers. Sie zieht unter anderem auch in Zweifel, dass bei einem Überfall in Richtung des Fahrers geschossen worden sei. Aus Sicht der Verteidigung stellen die Behörden Klette als gefährlicher dar als sie ist. Nach ihrer Festnahme am 26. Februar 2024 in Berlin-Kreuzberg fanden die Ermittler unter anderem Pistolen, Munition und sogar Kriegswaffen in der Wohnung der früheren RAF-Terroristin, in der Nachbarn sie als Claudia kannten.

«Hallo Polizei, wir suchen Claudia», sollen die Beamten laut Weyers gesagt haben. Klette habe dann nicht mit den Waffen, die sie hatte, auf die Beamten geschossen, sondern eine SMS geschrieben – mit den Worten «Sie haben mich!», sagt die Verteidigerin.

Attrappe einer Handgranate

Klette soll bei den Überfällen auch Opfer mit einer täuschend echt aussehenden Attrappe einer Panzerfaust eingeschüchtert haben. Dass die Frau aus dem fünften Stock des Mietshauses in Berlin-Kreuzberg an professionellen Raubüberfällen beteiligt gewesen sein soll, ahnte lange Zeit niemand. 

Spätestens im Jahr 1990 verschwand sie von der Bildfläche, der erste angeklagte Raubüberfall ereignete sich 1999. Nach außen führte sie offenbar ein unauffälliges Leben. Nachbarn schildern «Claudia» als freundliche, grauhaarige Nachhilfelehrerin. Als Einsatzkräfte die ehemalige RAF-Terroristin festnahmen, war die Verwunderung groß.

Verteidigung fordert Einstellung des Verfahrens

Die Verteidigung forderte die Einstellung des Verfahrens und die Aufhebung des Haftbefehls. Gegen die 66-Jährige sei kein fairer, rechtsstaatlicher Prozess möglich, heißt es in dem Antrag, den die Anwälte am ersten Prozesstag stellen. Klettes Anwälte befürchten ein politisches Verfahren, obwohl aus ihrer Sicht die ehemalige RAF-Mitgliedschaft nicht bewiesen ist. Am nächsten Prozesstag, dem 1. April, bekommen Staatsanwaltschaft und Nebenklage die Gelegenheit zu den Anträgen Stellung zu nehmen.

In einer rund 15-minütigen Erklärung schloss sich Klette dem Antrag an. Die Angeklagte schildert ihr politisches Weltbild und bezeichnete die Fahndung nach ihren mutmaßlichen Komplizen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg als «hetzerisch». Zu ihrer aktuellen Situation sagte sie: «Ich bin mir meiner Lage durchaus bewusst.» An ein faires Verfahren glaube sie nicht. «Was soll ich hier also erwarten?»

Hohe Sicherheitsvorkehrungen

Der Prozess startete unter hohen Sicherheitsvorkehrungen. Vor den Eingängen des Gerichtsgebäudes standen Justizbeamte und Polizisten mit Maschinenpistolen. Hintergrund der Maßnahmen ist die Vergangenheit der Angeklagten. Klette gehörte der sogenannten dritten Generation der RAF an. 1998 erklärte sich die RAF, die mehr als 30 Menschen tötete, für aufgelöst. Die nun zu verhandelnden Taten haben keinen terroristischen Hintergrund, wie die Ermittler betonen. Der Vorsitzende Richter Lars Engelke wies ausdrücklich darauf hin, dass der aktuelle Prozess gegen Klette «kein Staatsschutz- und kein Terrorverfahren» sei. 

Gegen die 66-Jährige besteht auch Haftbefehl wegen des Verdachts der Beteiligung an Terroranschlägen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr versuchten Mord in zwei Fällen sowie Mittäterschaft bei Sprengstoffexplosionen bei drei Anschlägen der RAF in der Zeit von Februar 1990 bis März 1993 vor. Zu diesem Komplex wird eine weitere Anklage erwartet, die zu einem weiteren Gerichtsprozess führen kann. Die Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung RAF an sich ist inzwischen verjährt.