Der Berliner CDU-Fraktionschef Kai Wegner im Porträt.
"Eine Politik für alle Menschen." Kai Wegner wil Berlins Regierender Bürgermeister werden. Bild: Yves Sucksdorff

Nach dem Urteil zur Berlin-Wahl spricht das Berliner Abendblatt mit dem Berliner CDU-Chef Kai Wegner über das Wahlchaos, Neuwahlen und darüber, was die Stadt braucht, um endlich wieder zu funktionieren.

Herr Wegner, nun muss Berlin neu wählen. Was sagen Sie zum Gerichtsentscheid?

Kai Wegner: Das Landesverfassungsgericht hat trotz öffentlichen Drucks der SPD ein klares, schlüssiges Urteil gesprochen und hat deutlich gemacht, dass politische und demokratische Spielregeln für alle gelten. Auch für die SPD. Verantwortungsvolle Politiker hätten Berlin diese Blamage erspart. Dieses klare Urteil ist aber auch eine Chance für Berlin. Für einen echten Neustart.

Ich erwarte, dass die Senatsarbeit nach dem Urteil weiter reibungslos verläuft. Denn eine weitere Hängepartie kann sich die Stadt nicht leisten. Der Wahlkampf im Senat ist jetzt schon voll entbrannt, SPD und Grüne sind sich nicht einig. Was die Stadt in dieser Krise jetzt gar nicht gebrauchen kann, ist ein Stillstand.

Wie schätzen Sie ein, was bei den Berlin-Wahlen am 21. September vergangenen Jahres passiert ist?

Kai Wegner: Es hat eine absolute Chaos-Wahl stattgefunden. Die Einschätzung des Gerichts, dass ein verfassungskonformer Zustand nur durch eine Wahlwiederholung hergestellt werden kann, weil die Regierung bei der Wahlorganisation versagt hat, hat es wirklich noch nie in ganz Deutschland gegeben.

Wir Berliner haben uns damit abgefunden, dass vieles in Berlin nicht funktioniert, dass man ein bisschen länger braucht bei einer Autoanmeldung, dass man häufiger im Stau steht, dass es schwer ist, einen Kitaplatz zu finden. Und trotzdem leben wir gerne in unserer Stadt. Aber wenn eine Wahl nicht mehr funktioniert, wenn Demokratie nicht mehr funktioniert, dann sind wir an einem Punkt angekommen, wo es reicht.

Der damalige Innensenator und heutige Bausenator Andreas Geisel trägt eine Verantwortung für diese massive Blamage und Demütigung Berlins. Da sind Politiker schon für weniger zurückgetreten. Herr Geisel ist aber immer noch im Amt und Frau Giffey stärkt ihm den Rücken. So geht es nicht.

Nun steht erneut Wahlkampf an. Worauf konzentrieren Sie sich?

Kai Wegner: Wir haben im letzten Wahlkampf einen klaren Plan für unsere Stadt gehabt, den Berlin-Plan. Der ist aktuell, denn seit der letzten Wahl im September 2021 ist nicht viel passiert. Mein Fokus liegt vor allem auf der Schaffung von Strukturen, damit diese Stadt endlich mal funktioniert.

Topthema für mich ist die Krisenbewältigung. Wir müssen auf die arbeitenden, fleißigen Menschen in unserer Stadt schauen, die durch ihre Steuerabgaben unsere ganzen Hilfspakete erst ermöglichen. Diese Menschen müssen sicher und zuverlässig durch den Krisenwinter geführt werden. Ein nächstes Thema ist bezahlbarer Wohnraum. Die Regierungsparteien reden immer von einem angespannten Wohnungsmarkt. Ich glaube, dass wir längst eine massive Notlage in Berlin haben.

Berliner CDU-Chef Kai Wegner auf dem Podium.
Kai Wegner will Berlin jeden Tag ein Stück lebenswerter machen. Bild: IMAGO / IPON

Außerdem ist die Verkehrssituation in Berlin unerträglich. Alle Verkehrsteilnehmer brauchen ihren Platz in der Stadt. Da hilft es nicht, einfach Straßen für Autos zu sperren, wie aktuell die Friedrichstraße. Ich habe den Eindruck, dass unsere grüne Verkehrssenatorin den Verkehr eher ausbremsen will, damit die Leute keine Lust mehr haben, Auto zu fahren. Aber das ist der falsche Weg. Wir müssen die Außenbezirke und Brandenburg besser an die Innenstadt anbinden. In Sachen U-Bahn-Ausbau und Schienenanbindung ist wieder ein Jahr nichts passiert.

Und dann ist da noch die Sicherheit in unserer Stadt. Die Aufklärungsquote bei Delikten wie Einbruch, Diebstahl, Körperverletzung ist viel zu gering. Wir brauchen eine starke Polizei, die mehr Personal zur Verfügung hat, besser bezahlt wird und der man das Vertrauen schenkt, das sie verdient. Außerdem braucht die Berliner Polizei eine bessere technische Ausstattung zur Kriminalitätsbekämpfung.

Sie wollen Regierender Bürgermeister von Berlin werden. Wenn es so kommt, was gehen Sie als erstes an?

Kai Wegner: Wir müssen die Funktionalität dieser Stadt wieder herstellen. Dabei müssen alle Berlinerinnen und Berliner wissen: Das geht nicht von heute auf morgen. Aber, und das meine ich im Ernst, ich werde sieben Tage die Woche daran arbeiten, dass das Leben für die Berlinerinnen und Berliner tagtäglich ein Stück besser wird. Dabei geht es vor allem um eine funktionierende Verwaltung, klare Strukturen und weniger bürokratische Hürden.

Welche Koalition käme für Sie bei einem Wahlsieg in Frage?

Kai Wegner: Ich wünsche mir ehrlich gesagt eine Koalition mit den Menschen dieser Stadt. Unsere tolle Stadtgesellschaft einzubeziehen, das muss funktionieren – egal mit welchem Koalitionspartner. Eine Koalition mit der Linkspartei und erst recht mit der AfD schließe ich aus.

Bei der FDP gibt es Übereinstimmungen. SPD und Grüne kommen auch in Frage, aber da dürfte es nicht einfach werden. Gerade die SPD trägt maßgeblich Verantwortung für die letzten Jahre. Sie stellt seit 21 Jahren ununterbrochen den Regierenden Bürgermeister. Aber es darf kein „Weiter so“ mehr geben. Ich möchte mit denen über eine Koalition sprechen, die bereit sind, Stillstand aufzubrechen und diese Stadt zu verbessern und zu verändern.

Die Wohnungsknappheit ist ein brennendes Thema in Berlin. Wie wollen Sie dieses Problem angehen und würden Sie für Wohnungsneubau auch Randgebiete des Tempelhofer Feldes bebauen – trotz Volksentscheid?

Kai Wegner: Um die Lage auf dem Wohnungsmarkt kurzfristig zu entschärfen, brauchen wir endlich einen funktionierenden Mieterschutz. Die Mietpreisbremse muss besser funktionieren. Schwarze Schafe im Immobilienbereich müssen sanktioniert werden. Für ältere Menschen in zu großen Wohnungen und junge Familien, die zu wenig Platz haben, wollen wir Tauschmöglichkeiten viel stärker schaffen. Das wird bisher zu wenig genutzt.

Langfristig lässt sich das Problem nur über mehr bezahlbaren Wohnungsneubau lösen. In diesem Jahr wurde keine einzige Sozialbauwohnung beantragt, obwohl Fördertöpfe dafür da sind. Der Wohnungsneubau-Turbo muss wirklich gezündet werden.

Die Randbebauung des Tempelhofer Feldes kommt für uns in Frage. Aber da müssen die Berlinerinnen und Berliner neu befragt werden. Jetzt ist die Situation ja auch eine ganz andere. Die Wohnungsknappheit und die explodierenden Mietpreise sind das größte soziale Problem in Berlin. Das müssen wir wirklich hinkriegen.

Wie wollen Sie die Klimaziele, die Berlin sich gesteckt hat, erreichen?

Kai Wegner: Klimaschutz ist ein wichtiges Thema. Und da sehe ich viele ungenutzte Potentiale. 87 Prozent der Dächer unserer öffentlichen Gebäude zum Beispiel sind leer. Da gibt es keine Photovoltaikanlagen. Warum fördern wir nicht viel mehr Erneuerbare Energien, schaffen mehr Grünflächen und machen nicht mehr Fassadenbegrünung? Die Klimakleber aber zum Beispiel tun das Gegenteil von dem, was sie vielleicht erreichen wollen. Wir reden nicht mehr über Klimaschutz, seitdem sie in der Stadt unterwegs sind, sondern über Sachbeschädigung und im Stau stehende Krankenwagen. Wir brauchen einen attraktiven Personennahverkehr, der die Außenbezirke und das Umland erreicht, sodass die Menschen das Auto stehen lassen. Sie sollen dazu aber nicht gezwungen werden, sondern ein Angebot bekommen, das gut für sie ist.

Welches Nahverkehrsticket wollen Sie für die Berlinerinnen und Berliner?

Kai Wegner: Erstmal finde ich es gut, dass das 9-Euro-Ticket als Sozialticket jetzt kommt. Und dann will ich einen Tarif entwickeln, der attraktiv ist. Gemeinsam mit Brandenburg, denn wir sind eine gemeinsame Region. Das Tarifsystem ABC ist völlig überholt. Wenn es nach mir geht, bekommen alle Berlinerinnen und Berliner das Angebot, für einen Euro am Tag den ÖPNV in Berlin und Brandenburg zu nutzen.

Was wollen Sie tun, um Berlin als Wirtschaftsmetropole zu stärken?

Kai Wegner: Zum einen sollten wir nicht mehr über Enteignung reden. Denn das schadet dem Wirtschaftsstandort. Außerdem brauchen wir eine funktionierende Verwaltung, müssen Bürokratie abbauen. Wissenschaft und Forschung müssen gestärkt werden. Das ist die Zukunft unserer Stadt.  Gemeinsam mit Brandenburg will ich eine starke Wirtschaftsregion entwickeln. Da sehe ich dann auch große Chancen für das produzierende Gewerbe, denn wir brauchen starke Industriearbeitsplätze in Berlin und der Region.

Wir müssen für unser Image im Bereich der Digitalisierung einen Quantensprung machen. Jeder Campingplatz in Schweden hat ein besseres Mobilfunk- und W-Lan-Netz als die Mitte Berlins. Wir reden zum Beispiel seit Jahren über ein freies W-Lan-Angebot für alle. Das machen andere Metropolen längst. Und Berlin kriegt das nicht hin. Das müssen wir ändern.

Kann Hertha mit Ihnen als Regierender Bürgermeister auf einen schnellen Stadion-Neubau hoffen?

Kai Wegner: Hertha BSC hat den Wunsch, ein neues Stadion in der Nähe des Olympiaparks zu bekommen. Hier muss es Gespräche mit den anderen dort ansässigen Vereinen auf Augenhöhe geben. Dafür werde ich mich einsetzen, denn Hertha ist nicht nur ein toller Verein, sondern auch ein wichtiges Unternehmen in unserer Stadt und soll schnellstmöglich dieses neue Stadion bekommen.

Bestmögliche Bildungschancen für Berliner Kinder und Jugendliche: Was muss passieren?

Wahlplakat von Kai Wegner von der CDU.
Wahlkampf im September 2021. Bild: IMAGO / Stefan Zeitz

Erstens: Schulen müssen Wohlfühlorte für Kinder und Jugendliche sein. Schulsanierung und -neubau dürfen nicht mehr aufgeschoben werden. Zweitens: Ich will, dass jedes Kind von Anfang an die gleichen Chancen hat und schließlich rechnen, schreiben und lesen kann.

Deshalb braucht es meiner Meinung nach die verpflichtende Vorschule, um herauszufinden, ob das Kind in der Lage ist, dem Schulunterricht zu folgen. Wenn Kinder in die Schule kommen und keine 45 Minuten dem Unterricht folgen können, ist das Scheitern einer Bildungskarriere fast vorprogrammiert.

Vor allem Sprachlernstandserhebungen muss es für alle geben und das muss auch vom Staat eingefordert werden. Drittens: Es muss einen noch stärkeren Austausch zwischen Schule und Sportvereinen geben, sodass bei Kindern und Jugendlichen Bewegung stattfindet.

Das Interview führte Sara Klinke.