Tanja Egen lebt seit 15 Jahren in Berlin - ihr Film "Geranien" feiert auf der Berlinale seine Premiere. Foto: Claudia Schröder

Heute ist es soweit: Nach vielen Jahren Arbeit feiert die Regisseurin Tanja Egen die Publikumspremiere ihres Debüt-Langfilms Geranien bei der Berlinale im Kino International. Wir sprachen mit der 37-Jährigen Wahlberlinerin über die Entstehung ihrer „Dramödie“, was sie an der Hauptstadt schätzt und was die Berlinale für sie bedeutet.

Zum Film: Geranien

„Geranien“ ist ein Heimatfilm. Oder besser: Ein Film über die Heimat. Was macht uns aus, wo kommen wir her? Und was verbindet uns noch mit den Leuten von dort? Nina, gespielt von Friedericke Becht, lebt seit Jahren als Schauspielerin in Amsterdam, kommt aber eigentlich aus der Kleinstadt Holzwickede bei Dortmund. Zur Beerdigung ihrer Oma fährt sie wieder in die Heimat ins Ruhrgebiet.

Doch während Nina in den Niederlanden ein selbstbestimmtes Leben führt, sieht es bei ihrer Mutter Konnie (Marion Ottschick) anders aus. Nina bemerkt zunächst nicht, wie schwer es ihrer Mutter fällt, endlich Frieden mit ihrer verstorbenen Mutter zu schließen.

Doch als die Beerdigung der Großmutter um ein paar Tage nach hinten verschoben wird, haben Nina und Konnie endlich Zeit, sich nach all den Jahren wieder und besser kennenzulernen. „Geranien“ erzählt von Heimat und Entfremdung, von großen und kleinen Städten. Und dem Gefühl, sich wieder anzunähern und wertzuschätzen.

Interview mit Tanja Egen

Tanja Egen lebt seit 15 Jahren in Berlin, davor lange in Hamburg, wo sie erste Theatererfahrung sammelte. Aufgewachsen ist sie in der 17.000 Einwohner zählenden Kleinstadt Holzwickede nahe Dortmund. Nach dem Bachelor-Studium der Philosophie nahm Egen eine Auszeit in der Türkei.

Nach Berlin zog es die heute 37-Jährige schließlich wegen der „vielen Möglichkeiten in dieser unfertigen Stadt“, wie uns Egen im Interview verriet. „Eine Stadt, die einen noch ein bisschen brauchen kann“, wie sie sagt. Ihr Film „Geranien“ ist die Abschlussarbeit ihres Studiums an der Deutschen Film- & Fernsehakademie Berlin (DFFB), das sie im Jahr 2012 begann.

Frau Egen, wann haben Sie erfahren, dass Ihr Film “Geranien” auf der Berlinale gezeigt werden soll?

Egen: Anfang Januar dieses Jahres war das, da habe ich mich super gefreut. Ich lebe seit 15 Jahren in Berlin und es ist so schön, in der eigenen Stadt Premiere feiern zu können. Zudem war ich in Berlin an der Filmhochschule. Auch als Zuschauerin war ich schon ganz oft bei der Berlinale, ein tolles Festival. Das ist eine Art Heimspiel für mich. Die Zusammenarbeit mit dem Berlinale-Team ist auch super.

„Berlin war damals so eine tolle, große, irgendwie auch unfertige Stadt.“

Tanja Egen

Zudem besteht der Cast des Films sowohl aus professionellen Schauspieler*innen als auch auch Amateur*innen. Marion Ottschick, die die Mutter Konnie im Film spielt, stand vorher noch nie vor der Kamera. Das ist einfach toll und aufregend, dann gemeinsam im Kino International anzukommen und den Film auf so einer großen Leinwand zu sehen.

Sie leben seit 15 Jahren in Berlin, was hat sie damals in die Hauptstadt gezogen?

Egen: In Hamburg habe ich damit begonnen, erste Kontakte in Richtung Theater und Regie zu knüpfen, hatte dann aber das Gefühl, nochmal studieren zu wollen. Berlin war damals so eine tolle, große, irgendwie auch unfertige Stadt. Man hatte das Gefühl, man kann hier ganz viel machen, das hat mich angezogen. Eine Stadt, die einen noch ein bisschen brauchen kann. Es war weniger etabliert, weniger fertig als etwa Hamburg oder München. Und dann verliebt man sich in die Stadt, und man bleibt hier, weil man hier sein Leben aufbaut.

Ich lebte zehn Jahre in Neukölln und bin dann nach Reinickendorf gezogen, was auch nochmal ein ganz anderes Berlin ist. Jetzt kann ich nachmittags mit dem Rad kurz an den See fahren und schwimmen gehen. Oder setze mich in die U6 und bin direkt in Berlin-Mitte, es ist eben auch eine große Lebensqualität. 

Ein Berlin-Film ist „Geranien“ dennoch nicht geworden. Doch viele Themen des Films sollten allen Menschen aus der Großstadt bestens bekannt sein.

Egen: Ich glaube, das sind viele universelle Gefühle, die in „Geranien“ stattfinden. Ganz egal, ob man aus Amsterdam, Berlin, Barcelona oder sonst wo kommt. Wenn man dann zurück in den Ort geht, wo man aufgewachsen ist, das macht immer etwas mit einem.

Dieser Kontrast aus Groß- und Kleinstadt, diese Diskrepanz und dieses Entfremden, das ist vermutlich vielen bekannt. Dass man sich neu finden und neu orten muss. Was verbindet mich damit, was davon bin noch ich? Nach der Schule verschwinden ja die meisten aus der Kleinstadt, da will man sich noch stark abgrenzen. Später lässt das wieder nach, dann sieht man die eigene Heimat nochmal ganz anders.

Der Film wurde in Holzwickede gedreht, was direkt bei Dortmund liegt. Wie haben sich die Dreharbeiten gestaltet?

Egen: Wir haben sechs Wochen gedreht, das war dort, wo ich aufgewachsen bin. Daher kannte ich schon viele Orte. Doch es hat mich total überrascht, dass wir ganz andere Orte zum Drehen gefunden haben, als die, die meine Kindheit und Jugend geprägt haben. Wir haben geschaut, was Holzwickede heute ist.

Die Dreharbeiten waren super. Unser Casting für die Darstellerinnen und Darsteller lief unter anderem über Zeitung und Radio. Wir hatten viel lokale Unterstützung und total nette Nachbarn, die in der Drehpause Kuchen vorbeigebracht haben. Das ist das Schöne an Originaldrehorten, man ist halt direkt vor Ort, mit allem, was dazu gehört. Egal ob Autopanne oder Stromanschluss, die Nachbarn haben immer geholfen.

Der Trailer zu „Geranien“, dem Debüt-Langspielfilm von Tanja Egen.

Stand die Produktion des Films eigentlich wegen Corona jemals auf der Kippe?

Egen: Es wurde einfach teurer, die ganzen Hygienemaßnahmen, selbst draußen mussten ständig Masken getragen werden. Eine Schauspielerin, mit der wir arbeiten wollten, hatten kurz vor Drehbeginn einen positiven Coronatest, dann mussten wir super schnell umbesetzen. Aber so gesehen gibt es vermutlich viele Filme aus der jüngsten Zeit trotz Corona. Nur war es für kleine Produktion sicherlich noch schwieriger.

„Berlin ist auf jeden Fall mein Zuhause, doch ich finde den Begriff Heimat schwierig.“

Tanja Egen

Würden Sie Berlin inzwischen als Heimat bezeichnen?

Egen: Berlin ist mein Zuhause, das auf jeden Fall. Ich finde den Begriff Heimat schwierig, weil ich den anders definieren würde, eher geografisch, weniger als Gefühl. Berlin ist mein Zuhause, aber nicht meine Herkunft. Der Begriff „Heimat“ ist auch sehr romantisch geprägt für mich. In dem Sinne habe ich gar nicht so heimatliche Gefühle. Nirgendwo.

Der Film wurde vom ZDF koproduziert, dort wird “Geranien” als Heimatfilm bezeichnet, sie selbst nannten ihn aber eine Dramödie. Was ist Ihnen lieber?

Egen: Das sind letztendlich nur Begriffe, die etwas fassen sollen. Man könnte auch noch ganz andere finden. Sozialstudie, sachliche Romanze oder so. Jeder dieser Begriffe fassen einen oder mehrere Aspekte des Films. Stimmt schon, es ist auch ein Heimatfilm. Aber es ist auch ein Drama, wo keiner lacht und keiner weint, dennoch gibt es Momente, die einen gewissen Humor haben. Es ist von allem so ein bisschen was.

Der Film spricht aber auch viele Generationen an. Nicht nur wir Mittdreißiger, die das Gefühl der Entfremdung und des Nachhausekommens von Nina nachfühlen können, sondern auch Eltern in ihren 50er- und 60er-Jahren, die damit auch ganz viel verbinden.

Wie ist das denn, wenn dein Kind nach Hause kommt und sich wie fehl am Platz fühlt? Was lief denn da schief? Eltern müssen sich ewig mit ihren Kindern rumschlagen – und dann kommen die Kinder nach Hause und dann ist wieder alles anders.

Die Berlinale 2023 ist die erste mit vollen Kinosälen nach Corona, ein richtiger Glücksfall für Sie in diesem Jahr Premiere zu feiern.

Egen: Ja, total, das freut mich sehr! Über dreißig Leute des Filmteams kommen aus Nordrhein-Westfalen angereist. Mit denen allen gemeinsam und den Zuschauern im Saal sitzen zu können, das ist super. Das Berlinale-Publikum ist ja auch total toll. Das sind ja Menschen, die Filme einfach lieben und auch offen und neugierig sind.

Bleiben Sie Berlin auch nach dem Ende Ihres Studiums erhalten?

Egen: Ja, auch wenn ich den nächsten Film gerne in Frankreich drehen würde, da habe ich Familie. Das ist schon geplant, derzeit sitze ich aber noch am Drehbuch. Erstmal kommt meine Tochter bald in Berlin in die Schule.

Interview: Sascha Uhlig