Der FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja im Berliner Abgeordnetenhaus. Bild: Berliner Abendblatt/Sascha Uhlig
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja im Berliner Abgeordnetenhaus. Bild: Berliner Abendblatt/Sascha Uhlig

Die Wahlwiederholung am 12. Februar führt in einem nie da gewesenen Ausmaß vor Augen. dass in Berlin zu viele Dinge schieflaufen, findet FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja. Im Interview spricht der Fraktionschef über die Vorschläge seiner Partei für eine Verwaltungsreform, eine umstrittene Wahlkampaktion in der Friedrichstraße und über die Frage, was ihn nach langen Jahren in der Opposition motiviert.

 

Berliner Abendblatt: Ist Franziska Giffey neuerdings Ihr Vorbild?

Sebastian Czaja: Wieso?

 

Das „Schneller-und-einfacher-bauen-Gesetz“, das die FDP ins Abgeordnetenhaus eingebracht hat, erinnert durch seinen sehr anschaulichen Namen an das „Gute-Kita-Gesetz“ oder „Starke-Familien-Gesetz“ aus der Zeit der Regierenden Bürgermeisterin als Bundesministerin.

Es ging darum, deutlich zu machen, wie man Probleme angehen muss. Wir müssen in dieser Stadt schneller bauen. Wenn man eine Analogie zum Kita-Gesetz herstellen möchte, könnte man sich fragen, welches der beiden Gesetze besser funktioniert oder funktionieren würde.

 

Was denken Sie?

Wir haben einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Trotzdem fehlen rund 17.000 Betreuungsplätze in Berlin. Der Handlungsbedarf ist groß. Wir sollten uns nicht in Überschriften verlieren, sondern machen.

 

Ihr Gesetzentwurf wurde allerdings abgelehnt.

So ist die Arbeit als Opposition. Es kommt immer wieder vor, dass ein guter Antrag keine Mehrheit findet. Die FDP macht Lösungsvorschläge. In herausfordernden Zeiten wie diesen bringt es nichts, nur zu meckern. Man muss sagen, was man anders und besser machen möchte. Diesen Auftrag nehmen wir sehr ernst.

 

Um den Wohnungsmarkt zu entspannen, setzt die FDP auf Neubau. Sie regen an, nicht benötigte landeseigene Grundstücke an private Akteure zu übertragen. Welche Grundstücke und welche Akteure haben Sie dabei im Blick?

Derzeit liegen mehr als 170 unbebaute Grundstücke bei landeseigenen Wohnungsunternehmen. Diese fünf Gesellschaften sind aber gar nicht in der Lage, diese über die Stadt verteilten Flächen zu entwickeln. Wir schlagen vor, einen Teil davon an Genossenschaften, deren Anzahl weitaus höher ist, zu geben. Genossenschaftliches Bauen fördert faire Mieten. Wir halten das für extrem wichtig.

Beim Thema Wohnungsbau müssen wir alle Akteure nutzen. Die Herausforderung, die Soziale Frage unserer Zeit anzugehen, könnte nicht größer sein. Es geht darum, Wohnraum mit fairen Mieten zu schaffen. Der Druck auf dem Wohnungsmarkt ist extrem. In Berlin fehlen gut 200.000 Wohnungen. Wegen des anhaltenden Zuzugs sind es sogar bis zu 300.000.

 


 

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Droht keine Verramschung von Grundstücken?

Berlin ist eine attraktive Metropole. Prognosen sagen für das Jahr 2030 vier Millionen Einwohner voraus. Da hat es keinen Sinn, Grundstücke zu parken. Sie gehören in die Hände derer, die Wohnraum schaffen können. Das sind neben den Landeseigenen und Genossenschaften auch private Investoren.

Beim Thema Genossenschaften hatten wir die frühere Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Kapek auf unserer Seite. Bei den Sondierungen für eine Ampel-Koalition im vergangenen Jahr kam die Sache auf den Tisch. Aus diesem Bündnis wurde bekanntlich nichts. Jetzt sitzt die Linke in der Regierung und Wohnraum bleibt knapp und dadurch extrem teuer. Die Linke ist der Preistreiber.

 

Giffey war einer Ampel gegenüber anfangs nicht abgeneigt. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es für diese Koalitionsoption einen zweiten Anlauf gibt, wenn sie prozentual möglich ist?

Das entscheiden die Wähler. Die Wahlwiederholung resultiert auch daraus, dass die SPD in den letzten gut 30 Jahren in Verantwortung war. In dieser Zeit hat sie die Dinge nicht so auf Vordermann gebracht, wie es sein müsste, gerade in der Verwaltung. Mit seiner Entscheidung für eine Wahlwiederholung hat der Verfassungsgerichtshof der Stadt ein Denkmal der Dysfunktionalität in dieser Stadt ein Denkmal gesetzt.

Wir erleben die Probleme jeden Tag. Auf einen Termin im Bürgeramt wartet man bis zu drei Monate. Eine Auskunft beim Geburtenregister dauert sechs Wochen. Ein Auszug aus dem Handelsregister, etwa bei einer Unternehmensgründung, lässt 42 Tage und mehr auf sich warten. Das ist Wahnsinn. Für diese Dysfunktionalität muss endlich jemand Verantwortung übernehmen. Es ist die Verantwortung der SPD, aber auch die der Grünen und Linken. In den Bezirken auch die der CDU. Ich möchte, dass wir eine Reformkoalition auf den Weg bringen.

Wir als FDP sind kein Teil der alten Probleme. Wir tragen seit 33 Jahren im Land keine politische Verantwortung. Den Reformkurs würden wir gerne in der Regierung antreiben. Wir sind bereit , mit SPD, CDU und Grünen zu sprechen, um eine Reform-Koalition aus der Mitte heraus zu bilden. Die meisten Schnittmengen haben wir natürlich mit der Union.

 

Sie meinen, die SPD hat abgewirtschaftet und sollte die politische Führung abgeben?

Es braucht ein Bündnis, das sich nicht an kleinen Spiegelstrichen festbeißt, sondern die großen Aufgaben anpackt. Das ist vor allem eine radikale Verwaltungsreform.

 

„Die Verwaltung ist die Wurzel der größten Probleme“

In Ihrem Wahlprogramm fordern Sie einen „Plan B“ für Berlin. Was steht für Sie ganz oben?

Die Verwaltung ist die Wurzel der größten Probleme Berlins. Das Erteilen einer Baugenehmigung nimmt meist mehr Zeit in Anspruch als der Bau selbst. Wenn ein Gastronom eine Genehmigung braucht, um draußen ein paar Tische und Stühle aufzustellen, muss er froh sein, wenn er sie bis zum Ende der Saison erhält. Das Verfahren hierfür muss viel einfacher werden.

Noch einmal: Die Grundlage für alles ist die Modernisierung unserer Berliner Verwaltung. Nur dann kommen wir bei Schule, Wirtschaft, Kitas und Bauen voran.

 

Welchen Plan B hat die FDP, falls es am 12. Februar nicht für fünf Prozent reicht? Einige Umfragen legen das nahe.

 

Wohnungsbau in Berlin: Die FDP will verstärkt Genossenschaften ins Boot holen und Planungsverfahren vereinfachen. Bild: IMAGO/Joko
Wohnungsbau in Berlin: Die FDP will verstärkt Genossenschaften ins Boot holen und Planungsverfahren vereinfachen. Bild: IMAGO/Joko

Ich durfte bereits 2016 und 2021 Verantwortung als Spitzenkandidat meiner Partei übernehmen. Stets war die Ausgangslage fünf bis sieben Prozent. In diesem Bereich bewegen sich auch aktuelle Umfragen. Die Wahlwiederholung ist ein Weckruf. In Berlin muss dringend was passieren.

Wer etwas verändern und einen politischen Wechsel haben möchte, den lade ich ein, etwas Neues zu wählen. Wir haben Konzept für Veränderungen vorgelegt. Dafür werden wir im Wahlkampf weiter werben. Um am Ende wieder ins Abgeordnetenhaus einziehen und einen Vorschlag für eine Reformkoalition machen zu können.

 

Und ihr persönlicher Plan B?

Es reicht am 12. Februar, weil wir genau diesen Diskurs mit den Berlinerinnen und Berlinern führen werden. An dieser Stelle geht es nicht um mich persönlich, sondern um die Frage: Was können wir als FDP in die Stadt einbringen? In einer Zeit vieler Krisen, wo Richtungsentscheidungen zu treffen sind?

 

„Gesamtkonzept für den Bereich rund um die Friedrichstraße nötig“

 

Stichwort Wahlkampf: Kürzlich haben sie mit einer inszenierten und als Internet-Video verbreiteten Öffnung der „Flaniermeile“ in der Friedrichstraße für den Autoverkehr auf sich aufmerksam gemacht. Hoffen Sie dadurch auf zusätzliche Wähler?

Wir haben damit deutlich gemacht, was wir politisch für richtig halten, nämlich die Friedrichstraße wieder für den Autoverkehr zu öffnen. Daneben braucht es ein Gesamtkonzept für diesen so wichtigen Bereich zwischen Gendarmenmarkt, Friedrichstraße und Charlottenstraße.

Nicht nur, damit Autofahrer, Radfahrerinnen und Fußgänger gut miteinander auskommen, sondern auch, um den Handel zu stärken, damit Arbeitsplätze gesichert oder geschaffen werden. Davon sind wir gerade ziemlich weit entfernt. Das gegenwärtige Stück- und Flickwerk bringt unnötige Konflikt- und Stresssituationen für die Menschen mit sich.

 

Wegen der Aktion mit der Straßensperre haben die Grünen Anzeige wegen eines – möglicherweise – schweren Eingriffs in den Straßenverkehr gegen Sie erstattet. Würden Sie so etwas noch mal machen? War das klug?

Von der Anzeige habe ich in der Zeitung gelesen. Mehr weiß ich auch nicht. Sie wäre jedenfalls haltlos, wenn sie denn wirklich existiert.

 

Zurück zur Verwaltungsreform: Die Wahlwiederholung hat der Debatte darüber neuen Schwung verschafft. Sie kritisieren die Senatspläne als zu zaghaft. An welchen Stellen wäre mehr Mut gefragt?

Ankündigungen für eine Verwaltungsreform habe ich in den letzten sechs Jahren von SPD, Grünen und Linken immer wieder gehört. Alle haben gesagt, wir müssen schneller, besser und effizienter werden. Immer wieder gab es Papiere dazu. Als es um die Belastungsprobe ging, hat keiner mitgemacht. 2020 stand das 100. Jubiläum von Groß Berlin an. Wir haben die Jahre davor vorgeschlagen, eine Anti-Chaos-Kommission einzusetzen. Diese sollte einen Verfassungskonvent vorbereiten, um Zuständigkeiten zu klären, doppelte Zuständigkeiten zu streichen und das Allgemeine Zuständigkeitsgesetz neu zu regeln.

Das Ziel war, diese Stadt und ihre Verwaltung wieder großartig zu machen. Wir erleben derzeit, dass vier Berliner Verwaltungen zuständig für eine Schultoilette sind. Das sind drei zu viel. Das wollten wir beenden. Keiner hat sich darauf eingelassen. Niemand wollte diese Kommission auf den Weg bringen. 

 

„Bebauungspläne sollte man von Senatsseite aus steuern“

 

 

Laut den Senatsplänen könnt es zum Regelfall werden, dass ein Bezirk Aufgaben für alle anderen übernimmt. Außerdem werden politische Bezirksämter, also Koalitionen auf Bezirksebene, vorgeschlagen. Ihre Meinung dazu?

Wir haben viele eigene und konkrete Vorschläge. Bauen ist eines der wichtigsten Themen. Bebauungspläne sollte man von Senatsseite aus steuern, anstatt diese bei den Bezirken zu belassen. Wir brauchen Blaupausen für Genehmigungen, etwa für das Aufstocken von Supermarktdächern mit Wohnungen. Es hat keinen Sinn, eine bestimmte Gebäudeart immer wieder für jedes einzelne Projekt neu vom jeweiligen Bezirk genehmigen zu lassen.

Warum muss ein Haus, das in Spandau gebaut wird, in Treptow-Köpenick erneut genehmigt werden, obwohl es der gleiche Bautyp ist? Es muss gelten: Einfach genehmigt und vielfach gebaut. Damit würde man drei Viertel des Genehmigungsweges sparen. In anderen Bundesländern funktionieren solche Typenbaugenehmigen wunderbar.

Und was Schultoiletten betrifft: Nach dem Vorbild Hamburgs sprechen wir uns für eine Infrastrukturgesellschaft Schule als alleinige Instanz für Sanierungs- und Bauvorhaben aus.

 

Und wie stehen Sie zum politischen Bezirksamt?

Die Probleme der Verwaltung würden dadurch nicht gelöst, dafür geht es nicht weit genug. An sich finden wir diese Idee finden aber richtig. Mit richtigen Koalitionen, wie auf Landes- oder Bundesebene, anstelle von Zählgemeinschaften losen Zusammenarbeiten wie derzeit auf Bezirksebene, würde es klarere politische Verantwortlichkeiten geben. Für den Wähler wäre einiges transparenter. Und es wäre leichter nachzuvollziehen, wer wofür zuständig ist.

(Anmerkung der Redaktion: Nach Niederschrift dieses Interviews trat die FDP mit der Forderung an die Öffentlichkeit, im Zuge einer Verwaltungsreform sämtliche Bezirksämter abzuschaffen.)

 

Noch mal zu Ihrem Wahlprogramm: Sie fordern, den Ausbau der Windenergie gemeinsam mit Brandenburg zu konzipieren. Sind für Sie neue Windräder in Berlin denkbar?

Große Windräder, nein. Berlin sollte anfangen, die andere Ideen möglich zu machen, die es längst gibt. Es sollte kleine Windkraftanlagen auf Hausdächern genehmigen. Das ist bislang nicht geschehen. In der Masse könnten diese Kleinanlagen die Leistung von typischen Windrädern erbringen, ohne, dass man etwas von ihnen merkt.

In Marzahn-Hellersdorf konnten wir dafür gerade eine Potenzialanalyse erwirken. Da ist viel Potenzial, dass man liegen lässt. Es geht aber um mehr. Berlin und Brandenburg sollten eine gemeinsame Wasserstoffstrategie erarbeiten und aus der Windenergie heraus grünen Wasserstoff erzeugen.

Auf keinem einzigen Dach der Berliner Verwaltung gibt es Solaranlagen. Würde man das ändern, kämen wir allein mit Sonnenergie auf die Leistung eines kleinen Kohlekraftwerks. Auch das wurde bislang versäumt. Geothermie, also dezentrale Formen von Energieerzeugung, wären ein guter Weg, um ganze Quartiere zu versorgen. Auch diese Dinge würden wir gerne auf den Weg bringen.

 

„Mich motiviert diese Stadt jeden Tag aufs Neue“

 

 

Ihre Vorschläge zum Thema Energie klingen vernünftig. Wie erklären Sie sich, dass Sie in der öffentlichen Debatte kaum wahrzunehmen sind?

Wir müssen für diese Themen einen breiteren Diskurs suchen.

 

Die FDP ist seit 1989 in der Opposition, Sie selbst wurden 2006 erstmalig ins Abgeordnetenhaus gewählt. Wie frustrierend ist der Dauerjob Opposition? Was motiviert Sie?

Mich motiviert diese Stadt jeden Tag aufs Neue. Das ist mein Antrieb. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich glaube an Berlin. Sie Unsere Stadt hat viele Chancen, die man nutzen kann.

Ich habe festgestellt, dass man auch aus der Opposition heraus Lösungsvorschläge machen kann, die angenommen und umgesetzt werden. Ein Beispiel: In der Pandemie gab es Taxigutscheine, damit vulnerable Gruppen sicher in die Impfzentren kommen. Das war ein Vorschlag der FDP. Und die damalige SPD-Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci hat ihn umgesetzt. Damit haben wir einen wichtigen Beitrag geleistet, um Menschen zu schützen und angeschlagenen Taxiunternehmen zu helfen.

 

Berliner-Abendblatt-Redakteur Nils Michaelis beim Gespräch mit Sebastian Czaja in dessen Fraktionsbüro. Bild: Berliner Abendblatt/Sascha Uhlig
Berliner-Abendblatt-Redakteur Nils Michaelis beim Gespräch mit Sebastian Czaja in dessen Fraktionsbüro. Bild: Berliner Abendblatt/Sascha Uhlig

 

Und wie steht es um den Frust?

Wer ist derzeit nicht frustriert in dieser Stadt? Noch frustrierter wäre ich, wenn am 12. Februar wieder das gewählt wird, was man immer schon gewählt hat. Ich möchte, dass „typisch Berlin“ wieder heißt: Hier funktioniert’s! Hierfür haben wir noch viel zu leisten.

Nicht, dass es immer wieder heißt: Geht nicht! Man denke an den Flughafen BER, das Wahlchaos oder Menschen, die vor Standesämtern kampierenwarten, um dort einen Termin zu bekommen.

Diese Stadt sendet Bilder, die sie nicht senden müsste. Man muss das Know-how in dieser Stadt endlich einbinden und Chancen nutzen. Das treibt mich an. Ich glaube, dass es besser geht.

 


 

Zur Person:

Bei der Berlin-Wahl am 12. Februar tritt Sebastian Czaja nach 2016 und 2021 erneut als Spitzenkandidat der FDP an. Seit dem Jahr 2016 ist er Vorsitzender der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Ende 2020 wurde er zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der FDP gewählt.

Czaja (verheiratet, eine Tochter) wurde 1983 in Ost-Berlin geboren und wuchs in Mahlsdorf auf. Sein älterer Bruder Mario ist Generalsekretär der CDU im Bund.

 


 

 

Das Interview führte Nils Michaelis