Die Koalition aus SPD, Grünen und Linke lässt das Berliner Mobilitätsgesetz scheitern. City Maut wird deshalb vorerst nicht kommen.
Bis zum 22. September wird es wahrscheinlich noch mehr Fahrradverkehr auf Berlins Straßen geben. Gerade ist die diesjährige Ausgabe der Aktion Stadtradeln angelaufen, die auch Menschen zum Radfahren bringt, die sonst nicht so viel damit am Hut haben. Die Ziele des Stadtradelns sind mehr Klimaschutz und Radverkehr und wurde im vergangenen Jahr von 14.678 Aktiven unterstützt. Jeder gefahrene Kilometer – und es waren fast 3,5 Millionen – trug zur CO2-Vermeidung bei. 2020 waren dies umgerechnet immerhin 512 Tonnen. Ein Ergebnis, das unbedingt für die Teilnehmer spricht – nicht aber für den Berliner Senat, dessen Verkehrs- und Umweltverwaltung das Stadtradeln organisiert.
Kompromisse aufgekündigt
Was ist passiert? Ganz einfach: Es ist Wahlkampf und ganz offensichtlich haben in der SPD wieder jene Kräfte die Oberhand gewonnen, die von Umweltaktivisten gern als „Autosozen“ bezeichnet werden. Die ließen die parlamentarischen Verhandlungen der Regierungskoalition zur Novelle des Mobilitätsgesetzes scheitern. Das bedeutet, dass die neuen Abschnitte des Mobilitätsgesetzes zum „Wirtschaftsverkehr“ und „Neuen Mobilität“ in dieser Legislaturperiode nicht mehr vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden.
Nach Informationen aus Verhandlungskreisen kündigten insbesondere die SPD aber auch die Linken in den Verhandlungen längst geschlossene Kompromisse wieder auf. Durch das Scheitern der Verhandlungen bleibt eines der zentralen Gesetzesvorhaben der rot-rot-grünen Landesregierung Berlins unvollendet. Das Mobilitätsgesetz, einst vor allem auf Vorschlag der SPD in den Koalitionsvertrag aufgenommen, wird in zentralen Fragen weiter lückenhaft bleiben.
Diverse Steuerungsmaßnahmen
„Wie wir hören, störte sich die SPD vor allem am Ziel, den Autoverkehr in Berlin deutlich zu reduzieren. Damit widerspricht sie nicht nur ihrem eigenen Wahlprogramm, sondern auch allen wissenschaftlichen Erkenntnissen für die Verbesserung der Mobilität in Städten und dem Konsens zivilgesellschaftlicher Stakeholder von Mobilitätsorganisationen wie dem VCD bis hin zu Wirtschaftsverbänden wie der IHK“, schimpfte Denis Petri von Changing Cities, dem Lobbyverein der Fahrradaktivisten.
Das sieht der SPD-Verkehrspolitiker Tino Schopf naturgemäß ganz anders. Er störte sich zum Beispiel am Inhalt des Paragrafen 70, in dem die Verkehrsverwaltung Maßnahmen zur Steuerung des fließenden und ruhenden motorisierten Individualverkehrs aufgelistet hatte. Darin war unter anderem die Rede von eingeschränktem Parkraum für Kraftfahrzeuge und weniger Fläche für den fließenden Verkehr, die man mithilfe verschiedener Steuerungsmaßnahmen durchsetzen wolle.
Dass dabei die Rede von Einnahmen der Hauptverwaltung und gewissen Preismechanismen war, ließen nicht nur bei Tino Schopf alle Alarmglocken läuten. „Damit ist eine rote Linie überschritten“, monierte der SPD-Mann gegenüber der Berliner Zeitung.
Schopf war sich mit seinen Linke-Kollegen Kristian Ronneburg einig, dass die grüne Verkehrs- und Umweltverwaltung hier eine City-Maut einführen wollte, ohne sie so zu benennen. „Es war von Anfang an allen Beteiligten klar, dass wie die City-Maut ablehnen“, sagte Ronneburg. Linke und SPD seien sich in der Bewertung einer derartigen Maut als unsozial einig, weil diese Menschen mit wenig Geld über die Gebühr belasten würde.
Gestrige Haltung
Von dieser Haltung tief enttäuscht zeigten sich mehrere Umwelt- und Verkehrsverbände. So erklärte Peter Fuchs von der Organisation PowerShift: „Die Verweigerungshaltung der SPD, wenn es um wirksame Maßnahmen zur Abkehr von PKW und um eine Umverteilung des öffentlichen Raumes geht, ist eine Haltung aus dem letzten Jahrhundert. Heute gilt: Politik für das Auto ist Politik gegen soziale Gerechtigkeit im Verkehrssystem.“
Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) sieht das ähnlich: „Verloren hat durch das Scheitern der Verhandlungen die ganze Stadt. Es wird vorerst keine Ladezonen, kein aktives Parkraummanagement, keine Verbesserung des Verkehrsflusses geben.“
Datum: 31. August 2021, Text: Manfred Wolf, Bild: imago images/Sabine Gudath