Eine zwölf Kilometer lange Kulturroute führt quer durch Güstrow.

Heute verstellen Birken, Eichen und Buchen den Blick aufs Ufer. Doch als Ernst Barlach 1930 ein Gelände am Inselsee südlich von Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern erstand, konnte er aufs Wasser blicken. Helligkeit und Platz suchte der norddeutsche Bildhauer, um an großformatigen Skulpturen arbeiten zu können. Also ließ er ein Wohn- und Atelierhaus errichten, in dem Besucher heute eine Vielzahl seiner Werke besichtigen können. Es ist das Herzstück einer rund zwölf Kilometer langen Kulturroute, die einmal quer durch die Stadt führt, um dem Künstler, der von 1910 bis zu seinem Tod 1938 in Güstrow wirkte, nahezukommen.

Ausstellungserie zum Jubiläum

Dieses Jahr hätte der 1870 geborene Barlach seinen 150. Geburtstag gefeiert. Gleich mehrere Ausstellungen in verschiedenen Städten erinnern an sein Werk. Vor allem in Norddeutschland, wo der Bildhauer, Dramatiker und Grafiker die meiste Zeit seines Lebens verbrachte, finden Kunstliebhaber eine Vielzahl von Barlach-Museen und -Ausstellungen: in Hamburg, Wedel, Ratzeburg und Schwerin – aber vor allem in der historischen mecklenburgischen Residenzstadt Güstrow, wo sich ein Großteil seiner Werke befindet. Statt mehrerer größerer Events, die ursprünglich geplant waren, sah sich die „Barlachstadt Güstrow“ wegen Corona-Vorsichtsmaßnahmen dazu gezwungen, individuelle Entdeckungstouren zu ermöglichen. „Wir haben deshalb für Besucher eine Radkarte erstellt, die es ihnen erlaubt, die bekannten Sehenswürdigkeiten alleine zu erkunden“, sagt Magdalena Schulz-Ohm.

Startpunkt der etwa halbtägigen Kulturroute ist der Inselsee im Süden von Güstrow. In unmittelbarer Nachbarschaft steht das einstige Atelierhaus mit seiner Dauerausstellung. Vor rund 20 Jahren wurde es um ein Ausstellungsforum mit Grafikkabinett erweitert – der damals erste Museumsneubau der neuen Bundesländer. Entlang des Wassers führt der Barlachweg, auf dem bereits der Künstler seine Wanderungen nach Güstrow unternahm, Richtung Innenstadt. Dabei passiert er das herzogliche Renaissanceschloss bis zum gotischen Dom, in dem die vielleicht berühmteste Figur des Bildhauers hängt: „Der Schwebende“, ein überlebensgroßer Engel, dessen Gesicht die Züge seiner Künstlerkollegin Käthe Kollwitz trägt. Nachdem die Nationalsozialisten das ursprüngliche Werk einschmelzen ließen, hängt am alten Platz seit den 1950er Jahren ein Nachguss.

Barlachs Gotikanlehnungen bewundern

Das erste Barlach-Museum weltweit liegt wenige Hundert Meter weiter nördlich am anderen Ende der Güstrower Altstadt. In einem der ältesten Gebäude der Stadt, der gotischen Gertrudenkapelle, werden seit 1953 Holzfiguren und bildhauerische Werke des Künstlers ausgestellt. Die Gotik, so der Kunsthistoriker Gerhard Graulich, war ein Stil, der Barlach nachhaltig geprägt hat. Inspiration fand er im Güstrower Dom, der Pfarrkirche St. Marien und der Gertrudenkapelle, aber auch in der Mittelaltersammlung des Staatlichen Museums in Schwerin. Im Ernst-Barlach-Kabinett, das das Museum extra zum Jubiläumsjahr eingerichtet hat, sollen diese Zusammenhänge sichtbar gemacht werden. Barlachs Werke werden hier hölzernen Kirchenfiguren aus dem späten Mittelalter gegenübergestellt. Das Museum will zeigen, wie zeitlos Barlachs Skulpturen sind. „Barlach wird immer retrospektiv betrachtet“, sagt Graulich. „Aber er inspiriert bis heute junge Künstler und Kunstliebhaber.“ Viele Besucher seien echte Fans und von Museum zu Museum auf seinen Spuren. Dieses Jahr haben sie besonders viel Auswahl.

Datum: 8. Oktober 2020, Text: dpa, Bild: Bild: Alexandra Frank/dpa-mag