Wie Geschäfte und Gastronomie in Mitte mit der Corona-Krise und ihren Auswirkungen umgehen. 

Noch am frühen Mittwochabend tummeln sich nahe der U-Bahn-Station Turmstraße zahlreiche Menschen an der Spree. Bei frühlingshaften Temperaturen lassen sich die einen ein kühles Feierabendbier schmecken, während junge Mütter Kinderwägen durch die Gegend schieben. Gesprächsfetzen zeigen: Auch hier ist Corona das Hauptthema. Wirklich einschränken lassen wollen sich die Berliner jedoch nicht.

Historische Rede

Zumindest nicht, bis Angela Merkel wenig später in einer Fernsehansprache ihre schon jetzt historische Rede an die Nation hält. Am nächsten Tag, etwa zur selben Uhrzeit, ist das Spreeufer deutlich leerer – was aber auch an der etwas kühleren Luft liegen könnte. „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt“, appelliert die Kanzlerin an die Bevölkerung.

Kunden bleiben aus

„Obwohl Merkel gesagt hat, dass wir zu Hause bleiben sollen, habe ich Beiträge von Leuten im Internet gesehen, die im Park waren. Ich habe das Gefühl, Berlin ist eine Stadt, in der den Leuten alles egal ist“, empört sich Stefanie. Sie arbeitet im Restaurant Alimentari e Vini in der Arminius-Markthalle in Moabit. Hier haben sich alle auf die vorgeschriebenen Maßnahmen eingestellt: 1,5 Meter Abstand zwischen den Tischen der Restaurants und Imbisse, regelmäßiges Desinfizieren und Lüften. Trotzdem: Die Kunden bleiben natürlich aus. „Wir haben unsere eigentlich 70 Plätze auf deutlich weniger reduziert. Und selbst die sind nicht besetzt. Es ist krass. So geht das nicht. Man kann weder Strom noch Gas noch Miete zahlen“, erzählt Stefanie.

Urlaub aus Not

Viele Lokalitäten hätten jetzt beschlossen, bis nach Ostern zu schließen. Stefanie und ihre Kollegen nehmen ihren einmonatigen Urlaub, der für die Sommermonate geplant war, in der Hoffnung, danach wieder arbeiten zu können. „Aber ich glaube, das alles gut wird“, sagt die junge Frau irgendwo zwischen Resignation und Hoffnung.

Erhitzte Gemüter

Ein weiterer Händler in der Markthalle möchte nicht über das Thema Corona sprechen. Er müsse sich zu sehr aufregen – über diejenigen, die noch immer in größeren Gruppen vor Spätkäufen abhängen und die Lage einfach nicht ernst nehmen. James Doppler vom Burger-Imbiss Pound & Pence bringt hingegen gern zum Ausdruck, was ihm – und bestimmt auch den anderen verbleibenden Händlern – auf der Seele liegt. „Wir sind unsicher, weil wir abwarten müssen, und von der Regierung nicht die nötigen Informationen bekommen.“ Die Großen in der Gastronomie würden überleben, die kleinen müssten um Zuschüsse bangen, so Doppler.

Zusammenhalt

„Die ideale Lösung wäre eine Stundung von allem, also dass niemand Miete zahlt und alles auf Null gesetzt wird. Doch das ist in einem kapitalistischen Land wie unserem eine Illusion.“ James‘ Mutter lebt in Norditalien, erzählt er. „Ich weiß nicht, wie es dort weitergeht. Es ist eine neue Situation für uns alle. Da müssen wir gemeinsam durch.“ Von möglichen Krediten oder dergleichen halte er nichts. „Das wird nicht helfen. Auch wenn wir die ersten Monate nichts zurückzahlen müssen.“ Meist hätten Unternehmen für ihren Betrieb bereits einen Kredit aufgenommen – ein weiterer würde langfristig zum Ruin führen. Von sonst rund 1.000 Menschen, die durch die Markthalle schlendern, schätze er die aktuelle Besucherzahl auf etwa 100. „Wir sind mittags und abends eigentlich gut besucht. Jetzt sind wir froh, wenn wir am Tag fünf Essen verkaufen.“

Wem es noch gut geht

Deutlich besser steht es um den kleinen Bioladen Grüner Laden unweit von der Spree. „Unser Lager war zwischendurch leer. Der Umsatz hat sich mehr als verdoppelt“, gesteht Verkäuferin Marisa Falkhof. Solange alle Mitarbeiter gesund sind, hätte auch das Geschäft weiterhin geöffnet. „Zum einen kommen unsere Stammkunden, die jetzt mehr einkaufen, weil sie häufiger zu Hause sind. Aber wir haben auch Kundschaft, die den Laden neu entdeckt haben“, weil bestimmte Produkte in großen Supermärkten ausverkauft seien, vermutet Marisa. Zu den beliebtesten Produkten zählen aktuell Äpfel, Karotten, Zitronen, Ingwer, Brot und natürlich Nudeln, Reis, Kartoffeln und Milch.

Kein Toilettenpapier

Mehl sei bereits ausverkauft und auch der Grüne Laden hatte in den vergangenen zwei Wochen kein Toilettenpapier im Angebot. Auch der Spätkauf in der Krefelder Straße muss die Anfrage einer Kundin nach dem neuen Gold verneinen. Ungefähr 20 bis 30 Mal am Tag würden ihn seine Kunden derzeit nach den heiligen Rollen fragen. Die Hysterie könne er nicht nachvollziehen.

Ansteckungsrisiko minimieren 

Wenige Meter weiter wartet vor dem Fahrradladen Norm Radstation ein Vater mit seinen Kindern. Aktuell soll immer nur ein Kunde den Laden betreten und die Öffnungszeiten sind verkürzt, „um das Ansteckungsrisiko zu minimieren“, sagt Mitarbeiter Michael Schulz. Da öffentliche Verkehrsmittel gemieden werden sollen, nutzen viele lieber das Fahrrad. Obwohl die Radsaison noch nicht gestartet sei, kämen immer mehr Leute in das kleine Geschäft. „Für uns hat das Negative etwas Positives“, gesteht Schulz. „Aber man muss darauf achten, dass man trotzdem Mensch bleibt“, führt er fort. Damit meint er, den Kunden keine unnötigen Reparaturen aufzuschwatzen und die Lage auszunutzen. Wie schnell die Situation kippen kann, weiß auch er. „Wenn der Ausnahmezustand kommt, dann müssen auch wir schließen.

Drohende Ausgangssperre

Bereits vor der Corona-Krise verzeichnete das Fahrradgeschäft Velophil in Alt-Moabit einen guten Umsatz, erzählt Mitarbeiter Rudolf Körner. Das sei dem nicht vorhandenen Winter geschuldet. Auch hier dürfen Kunden den Laden nur noch einzeln betreten. Ein kleiner Junge steht vor verschlossener Tür und ruckelt immer wieder an selbiger. Doch er muss draußen bleiben. Körner ist gerade im Gespräch. „Ich denke schon, dass wir noch einiges verkaufen können, solange wir noch offen haben. Solange die Virologen sagen, dass draußen Bewegen und Fahrradfahren gut ist, wird sicherlich noch einiges kommen. Doch ich glaube, dass auch wir bald Ausgangssperre haben werden. Dann ist es egal, ob wir offen haben oder nicht. Es wird sowieso niemand kommen.“

Vier Monate schließen

Was das für Velophil bedeute: „Wir müssen schauen, wo wir Liquidität herbekommen, um Löhne zu bezahlen.“ Daran würde man bereits im Hintergrund arbeiten. „Wir rechnen mit dem schlimmsten Fall. Der sieht so aus, dass wir vier Monate schließen müssen. Die Mitarbeiter ziehen alle an einem Strang. Es ist dramatisch, aber wir müssen damit umgehen und schauen, dass wir für die Zukunft gut aufgestellt sind, damit es danach weitergehen kann“, sagt Körner, während draußen der nächste Kunde an der Tür rüttelt. „Solange steht das Leben still. Diese Zeit müssen wir überleben.“

Datum: 21. März 2020, Text und Bild: Lisa Gratzke