Ein Spaziergang durch Moabit – Stadtteil zwischen Erinnerung und Moderne

Moabit ist von Wasser umschlossen – 25 Brücken führen über die Spree und die drei Kanäle, die es zu einer Insel machen. Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts war es ein ländliches Ausflugsziel. Mit der Industrialisierung wuchsen Fabriken und Mietskasernen. Der S-Bahnhof Beusselstraße liegt in einem Gebiet, in dem mehrere beeidruckende Industriebauten zu sehen sind. Von hier aus erreichen wir gut das ehemalige Straßenbahndepot in der Wiebehalle. Es wurde um 1900 errichtet und aufwendig saniert. Heute parken hier polierte Oldtimer und superschnelle Straßenflitzer. In der Classic Remise können Automobilfans ihre blechernen Lieblinge einstellen oder gar sanieren lassen. In schöner Regelmäßigkeit werden hier tolle Ausstellungen organisiert, fürs leibliche Wohl sorgt ein Restaurant mit schönem Freisitz in der wärmeren Zeit.

Wuchtiges Portal

Von hier aus geht’s zum Gelände der ehemaligen Ludwig Loewe Maschinenfabrik in der Huttenstraße. Loewe hatte mit Nähmaschinen begonnen, später Gewehre hergestellt und sich ab 1898 auf Werkzeugguss spezialisiert. Das Gebäude mit seinem wuchtigen Säulenportal zur Wiebestraße stammt von Alfred Grenander, der sich als Architekt der Berliner U-Bahn einen Namen gemacht hat. Auf dem Gelände residiert heute Siemens. Im Verlauf der Huttenstraße gelangen wir zu einem der wichtigsten Industriedenkmäler Berlins: der AEG-Turbinenfabrik. Sie wurde 1908 von Peter Behrens errichtet. Die Anlage mit sichtbaren Tragwerkkonstruktionen und großen Glasflächen war eine bahnbrechende Abkehr vom historischen Verkleidungsstil.

Jetzt folgen wir der Reuchlingstraße nach Süden und kommen noch an der ehemaligen Berlin-Anhaltischen Meschinenbau AG vorbei, ein Backsteinbau, der heute von zahlreichen verschiedenen Gewerben genutzt wird. Entlang der Kaiserin-Augusta-Allee öffnet sich der Ausblick über die Spree. Sie wird im weiteren Verlauf zur Straße Alt-Moabit, die bis ins Zentrum des Stadtteils führt. An der Gotzkowskystraße ein Blick nach rechts zur gleichnamigen Brücke. Auch ihre klassizistischen Pfeiler stammten von Grenander. In Hausnummer 48 befand sich das legendäre Hansa-Theater. Erbaut wurde es 1888 als Festsaal der Kronenbrauerei. Marlene Dietrich feierte hier ihr Debüt als Schauspielerin.

Lange Justiz-Geschichte

Der Straße folgend, gelangen wir zum Ottoplatz. Hier befand sich mal eine Baumschule. Heute liegt die Grünanlage im Zentrum Moabits. Nach Norden führt die Thusnelda-Allee (die kürzeste Allee Deutschlands) zur Turmstraße. Die Allee-Verlängerung bringt uns zur Arminiusmarkthalle von 1891. Sie ist restauriert und denkmalgeschützt und war Drehort der ARD-Serie „Drei Damen vom Grill“. Nordöstlich der Markthalle, jenseits der Strom- und der Perleberger Straße, erstreckt sich der Stephanskiez. Ein schmuckes Gründerzeitviertel mit prächtigen Häusern und kleinen Geschäften. Bis heute ist Moabit ein bedeutender Justizstandort. Das markiert der monumentale Bau des Kriminalgerichts in der Turmstraße 89-93, der heute Amt- und Kammergericht beherbergt. Hinter der 210 Meter langen Werksteinfassade mit zwei 60 Meter hohen Türmen verbirgt sich eine imposante Treppenhalle. Es gibt elf Innenhöfe, 16 Treppenhäuser und 21 Gerichtssäle.

Verwunschener Ort

Über die Rathenower Straße erreicht man die zum Gericht gehörige JVA Moabit, in der bis zu 1.300 Untersuchungshäftlinge einsitzen. Über die hohen Mauern und den Stacheldraht sind die denkmalgeschützten Gebäude zu erkennen. Die Haftanstalt aus dem 19. Jahrhundert ist nach dem panoptischen System angelegt worden. Dessen sternenförmig errichteten Zellengebäude mit überkuppelter Zentralhalle können von dort aus perfekt überwacht werden. Kurz vorm Hauptbahnhof erlauben wir uns noch einen Abstecher in den Geschichtspark auf dem Gelände des ehemaligen Zellengefängnisses Moabit, Lehrter Straße 68. Besonders verwunschen: In der Kleingartenanlage verwittert der kleine Friedhof für Gefangene und Beamte.

Datum: 16. Januar 2020 Text: Felix Müller Bild: imago images/Schöning