In der Baptistengemeinde erklärte der Politiker, was er an christlichen Feiertagen liebt.

„Was würde Jesus dazu sagen?“,  lautete das Motto der Gesprächsrunde, zu der sich die Bundestagsabgeordneten Gregor Gysi und Gesine Lötzsch (beide Die Linke) und Pfarrer Thorsten Schacht im Gemeindehaus der Lichtenberger Baptistengemeinde vor rund 200 Zuhörern trafen. Kurz vor dem vierten Advent wurde über das Weihnachtfest, Jesus und Gerechtigkeit diskutiert. Während Lötzsch den Part der Moderatorin mit Lichtenberger Lokalbezug gab und der „Mann Gottes“ mit dem Zitat des „Schweinekapitalismus“ die politisch linkesten Ansichten anführte, sorgte Gysi von Beginn an für einige Überraschungen.

Gesine Loetzsch, Pfarrer Thorsten Schacht und Gregor Gysi im Gespräch

„Bei mir gibt es einen Weihnachtsbaum mit echten Kerzen und ohne Lametta. Es gibt Gänsebraten; Geschenke und Bescherung. Dazu höre ich an den Weihnachtstagen gerne Bach. In die Kirche gehe ich aber nicht“, offenbarte der 71-Jährige, der sich als Fan christlicher Feiertage outete. „Ich selbst möchte nicht in einer religionsfreien Gesellschaft leben“, erläuterte Gysi. Das habe genau zwei Gründe: Die Linke sei zwar in der Lage, Moralnormen zu formulieren, könne sie aber allgemein verbindlich nicht gestalten. „Das können die christlichen Religionen jedoch schon. Wenn wir die Religionen – insbesondere die christlichen Religionen nicht hätten, gäbe es in unserer Gesellschaft gar keine allgemein verbindlichen Moralmaßstäbe“, erläuterte der Bundestagsabgeordnete. Selbst in der atheistischen DDR wurden christliche Feiertage akzeptiert.

Von der Bergpredigt lernen

Gysi: „Ich selbst bin in einer Gesellschaft aufgewachsen, die die Kirche geduldet, aber nicht geliebt hat. Dadurch ist mein Verhältnis zu diesem Thema viel natürlicher. Bei uns hatten die Menschen, die zur Kirche gehen, eher Schwierigkeiten.“  Seiner Ansicht nach wäre Jesus heute nicht in der Partei Die Linke gelandet. Innerparteiliche Kämpfe hätten ihn wohl davon abgehalten. „Aber er wäre gesellschaftspolitisch ein Linker gewesen“, mutmaßt Gysi und sieht die Bergpredigt dafür als grundlegenden Ausgangspunkt. „Die ist zwar eine formulierte Utopie, setzt aber allgemeingültige moralische Maßstäbe“, so der Politiker, der sich, anders als der biblische Sohn Gottes, schwer damit tut, seine Feinde zu lieben, wie er sagt. „Aber wenigstens hasse ich nicht zurück.“

Eine Persönlichkeit wie Jesus könnte nach Gysi schließlich auch in der modernen Welt für mehr Gerechtigkeit sorgen. „Die letzte Person, die einen solch global bedeutenden Rang in der Politik eingenommen hat, war Nelson Mandela. Der Respekt vor diesem Mann war so groß, dass selbst Donald Trump mit seinen Methoden an ihm nicht vorbei gekommen wäre“, so Gysis Einschätzung. „Wenn ich an Trump, Orban, Erdogan, an die polnische, tschechische und an die österreichische Regierung denke, bemerke ich die Rekultivierung einer furchtbaren Kultur.“  Derzeit sei angesichts der Globilisierung auch eine weltweite Entwicklung hin zum nationalen Egoismus erkennbar, die einen wie Jesus als Gegenpart gut gebrauchen könnte.

Datum: 23. Dezember 2019, Bild und Text: Stefan Bartylla