Hamburgs idyllisches Eiland im Wattenmeer entdecken.
Mehr oder minder elegant kraxeln die Touristen über eine Leiter hinauf auf die gepolsterten Dreiersitze. Stämmige Pferde scharren auf dem sandigen Parkplatz ungeduldig mit den Hufen. Als gebe es im Watt Hafer, Möhren und Äpfel statt Schlick, Würmer und Priele. Dicke Wolldecken liegen auf den Sitzbänken und deuten darauf hin, dass die Sonne nicht immer so vehement scheint wie an diesem Herbsttag in Cuxhaven-Sahlenburg. Rund 50 Kutschen ziehen in der Hauptsaison täglich über den Meeresboden der Nordsee. Von der Küste durch die Helgoländer Bucht zur Insel Neuwerk und zurück, ab Duhnen oder eben ab Sahlenburg. Rumpelnd wird die Leiter unter dem Zweispänner verladen.
Unterwegs mit dem Wattwagen
Der gelbe Wattwagen zuckelt los. Mit Schwung ziehen ihn die beiden Pferde über eine Dünenanhöhe, vorbei an Strandkörben geht es in das Hamburgische Wattenmeer. Fünf Kutschen fahren in Karawane durch das Weltnaturerbe. Gut elf Fahrkilometer liegen vor Pferden, Kutschern und Gästen. Von Cuxhaven nach Hamburg, beziehungsweise dessen Stadtteil Neuwerk. Fünf Schüler. Das Eiland liegt rund 120 Kilometer Luftlinie vom Stadtzentrum Hamburgs entfernt und gehört von ein paar Unterbrechungen abgesehen seit mehr als 800 Jahren zur Hansestadt. Neuwerk ist Zentrum des 1990 gegründeten Nationalparks Hamburgisches Wattenmeer. „350 Hektar groß, 35 Einwohner, fünf schulpflichtige Kinder, eine Lehrerin“, zählt Kutscher Bruno auf. Eine gute Stunde dauert die Fahrt. Bruno hätte sicher Gesprächsstoff für eine wesentlich längere Reise.
Gestrandete Wattwanderer
Mit einem Kopfnicken zeigt er in Richtung einer Rettungsbake. An der Spitze ist ein Metallgitterkorb angebracht. „Darin haben so fünf bis acht Personen Platz. Oben drin ist eine Kiste mit Aludecken und Leuchtfackeln. 2017 haben wir sechs Leute von der Bake geholt“, sagt er. Wattwanderer, die von der Flut überrascht wurden. Man kann die Insel auch zu Fuß oder auf einem Pferd reitend erreichen. Und von April bis Oktober fährt täglich ein Schiff. Mehr als 130 Gästebetten gibt es laut der regionalen Tourismus-Gesellschaft auf dem Eiland.
Historische Bauwerke
Die Palette reicht von Campingplatz bis Leuchtturmzimmer. 1905 wurde die Insel Seebad und Erholungsort. In den letzten zehn Minuten Fahrt ist der Vorposten in der Elbmündung schnell näher gerückt. Aus dem Watt führt ein kleiner Pflasterweg vorbei an Salzwiesen, Obstbäumen und Kühen. Von der Fahrt auf der Kutsche gut geschüttelt erreichen die Fahrgäste Neuwerk. „Freie und Hansestadt Hamburg“ steht auf einem Schild mit weißer Schrift auf rotem Grund. Es wirkt klein gegenüber einem der ältesten Bauwerke Hamburgs: Stoisch thront der rund 40 Meter hohe Leuchtturm über seiner Insel und deren rund fünf Kilometer langem Deich.
Seit 1310 steht er da, aus Backstein gebaut, eckig, trotzig, wehrhaft. Einst diente er als Wehrturm zum Schutz vor Piraten, erst später als Leuchtturm. „Störtebeker war dort eingesperrt“, behauptet Bruno. Ein Fahrgast sinniert über die Gültigkeit von Brunos historischen Quellen und will später, zurück auf dem Festland, ein Geschichtsbuch bemühen. Fakt ist: Mehr als 100 000 Besucher pro Jahr kapern das kleine Eiland, das man leicht in einer Stunde zu Fuß erkunden kann.
Datum: 6. Oktober 2019, Text: dpa, Bild: Klaus Janke/Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer/dpa-mag