Ein Buch soll an den 80er-Jahre Club „Quartier Latin“ in der Potsdamer Straße erinnern.
Das Quartier Latin, Potsdamer Straße 96, dort, wo heute der Wintergarten residiert, war einer der bekanntesten Kult- und Konzertorte der 70er und 80er-Jahre. Herbert Grönemeyer spielte hier vor acht Leuten eines seiner ersten Konzerte, die Fußstapfen der jungen Ärzte sind im Steinboden verankert, Nina Hagens Extravaganz, Udo Lindenbergs Hut. 1989 musste auf Grund von zunehmender Konkurrenz aus finanziellen Gründen geschlossen werden.
Einmalige Location
Damit verlor der Westen Berlins eine Location, die mehr war, als Konzertsaal und Bühne. Als alternative Kneipe 1970 gegründet, wurde er zum Treffpunkt für Sub- und Gegenkulturen, zur Stammkneipe, zum Proberaum für Bands, zur Kneipenuniversität: zu einem Raum, wo alles möglich war. Henry Steinhau, Musikjournalist, und Marco Saß, Sohn der ehemaligen Inhaber, entschieden sich schon vor rund 25 Jahren, dem Vergessen zu trotzen und die Geschichte des Quartier Latins, das für Henry Hauptwirkungsstätte und für Marco Zuhause war, in Form eines Buches zu erzählen. Ein Lebenswerk, das am 24. September im heutigen Wintergarten groß gefeiert werden soll.
Voller Erinnerungen
Rund 400 Seiten wird das Buch haben. 400 Seiten voller Erinnerungen und Emotionen, eingebettet in persönliche Anekdoten und Interviews, ausgeschmückt mit Jahrzehnte alten Programmheften, Autogrammen, Plakaten und Fotos. „Der Laden hat es verdient, dass seine Geschichte erzählt wird“, so Saß. 1991 habe es bereits die Möglichkeit zur Veröffentlichung eines Buches gegeben. „Das wäre eine Katastrophe gewesen. Die Geschichte ist lang, das braucht viel Zeit.“ Mehr als ein Vierteljahrhundert ist seitdem vergangen. Kinder und Karrieren kamen hinzu, die Idee des Buches blieb. Steinhau schrieb einen Großteil der Texte, führte Interviews, kramte in Schatztruhen voller Erinnerungen, spürte den Nachklang der 68er Bewegung noch Jahre später. Saß rekonstruierte manuell das komplette Programm der Quartier-Latin-Existenz, grub alte Programmhefte und Musikplakate aus, sammelte Fotos. Jede Erinnerung fügte sich wie ein Puzzleteil in das Bild eines Ladens, der bunter nicht hätte sein können.
Anderes Lebensgefühl
„Es war ganz anders als heute. Viel lief auf Handschlagbasis, es war günstig und wild“, so Steinhau. Er erzählt von Freunden, die Eintrittskarten abgerissen haben, von zusammengewürfelten Möbeln und Geldnot, von Politrock, linker Subkultur und kurdischer Naujahrsfeste. Einen Inspirationsraum der Vergangenheit zu ergründen, bedarf Zeit und Muße. Die Buchentstehung vollzog sich phasenweise, zum Glück, so die beiden Männer. „Viele Musiker und alte Mitstreiter sind mittlerweile verstorben.“ Ihre Geschichten sind in dem Buch enthalten und damit lebt nicht nur das Quartier Latin, sondern ein Teil aller Aktiven auf Papier weiter. „Das Buch ist für die, die mit Leidenschaft kamen und gingen. Wir wollen etwas zurückgeben“, so Saß.
Unterstützer gesucht
Leidenschaft lässt sich finanziell nicht messen, Produktionskosten leider schon. Sie übersteigen das Budget, was Steinhau und Saß eigenanteilig aufbringen können. Deshalb läuft seit dem 3. Mai eine Crowdfunding Kampagne. 32.000 Euro sollen auf diese Weise zusammenkommen. „Da muss noch einiges passieren“, so Steinhau. Und wenn nicht genug gespendet wird? „Dann suchen wir einen anderen Weg. Ins Bockshorn lassen wir uns nicht jagen.“ Das Buch soll es auf jeden Fall werden. Immerhin ist es ein Lebensprojekt, das nun einen Abschluss finden soll, das verblassende Erinnerungen der Musikszene der 70er und 80er-Jahre des Berliner Westens lebendig werden lässt und damit unsterblich macht. Das Projekt kann noch bis zum 27. Juni online unterstützt werden.
Datum: 30. Mai 2018, Text: Christina Lopinski, Bild: Marco Saß