Lehrerin verfilmt mit Schülern das Schicksal einer jüdischen Familie.

Mit elf Stolpersteinen fing alles an. 2012 übernahm die Cecilien-Grundschule die Patenschaft für diese Erinnerungsstücke persönlicher Schicksale zur Zeit des Nationalsozialismus. Gleichzeitig machten Gedenktafeln die Gesichter hinter den Steinen sichtbar. Einige davon gehören der Familie Cohn, die bis 1942 im Haus Nummer 4 am Nikolsburger Platz, gegenüber der Grundschule, lebte. „Da tobt jetzt das Kinderlachen“, sagt Birgitta Behr, Lehrerin und Begründerin eines Projektes, das weit mehr ist, als Gedenkarbeit.

Geschichte erzählen

Wie kann Grundschulkindern die Grausamkeit des Holocaust vermittelt werden? Über 70 Jahre sind vergangen, Zeitzeugen gibt es kaum noch, die Kost historischer Bücher ist schwer und für Kinder oft langweilig. Und vor allem rar: Als Behr nach kindgerechtem Material suchte und nicht fündig wurde, entschied sie, selbst welches zu erschaffen. Nach intensiver Forschungsarbeit mithilfe von Eltern und Lehrkräften konnte die Geschichte der im Jahr 1942 sechsjährigen Susi Cohn rekonstruiert werden: ein jüdisches Mädchen, das im Schatten des Krieges und der Flucht groß werden musste.

Ein Stolperstein, ein Gesicht des Hauses Nummer 4. „Mit einem Mädchen an der Hand kann die Geschichte viel besser verstanden werden“, sagt Behr, verband Kunst mit Pädagogik und schrieb ein Buch. Der Verlag hätte es sachlicher gewollt, aber Behr bestand auf die emotionale Ebene. „Nur so kann die junge Generation abgeholt werden.“ Ihre leidenschaftliche Begeisterung und das unerschöpfliche Engagement zahlten sich aus: Das Buch wurde veröffentlicht und wird nun im Unterricht als Lehrmaterial verwendet. Die Bildsprache erleichtere das Verständnis, mit Susi könnten sich die Kinder zudem besser identifizieren.

Eigenes Filmprojekt

Nach dem Buch (das Abendblatt berichtete) folgte ein multimediales Theaterstück, dann ging alles ganz schnell. Behr wurde für ein Jahr als Schulberaterin abgeordnet und fing an, Susis Geschichte zu verfilmen. „Ich komme gar nicht zum Nachdenken, es ist magisch“, sagt Behr, die das Projekt fast vollständig selbstfinanzierte. Erst kurz vor Schluss konnten dank eines Projektfonds in Höhe von 5.200 Euro die Schauspieler entlohnt werden.

Die Lehrerin, die in den vergangenen Jahren Autorin, Regisseurin und Filmproduzentin wurde, zeigt, dass Kreativität kein großes Budget braucht. Oma und Tante spielten mit, das Geschirr der Nachbarin wurde ausgeborgt, antike Möbelstücke aus der Umgebung geliehen, Klamotten aus Second-Hand-Läden gekauft. Selbstlose Hilfe aus der Nachbarschaft machte die Projektverwirklichung möglich. „Mein kleines Universum“, sagt Behr stolz. Am Freitag fand im ausverkaufen Kant Kino die Filmpremiere statt: in der Hauptrolle ihre Tochter Lisa.

Neue Form

Das Interesse von anderen Schulen ist groß. Behr hat mit ihrer Darstellungsform etwas Neues geschaffen, was Kinder und Lehrer bewegt. Und ihr großer Traum ist noch nicht zu Ende, Susi soll ein Gesicht bleiben. Sie möchte das Haus Nummer 4 nachbauen und den Kindern einen realen Zugang ermöglichen. „Ich möchte ein begehbares Buch, ich möchte Susi sprechen lassen.“ Als Verwirklichungsort ist die Villa Oppenheim in der Schloßstraße angedacht. Behr hat mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen, aber sie verfolgt ihren Traum. Sie möchte die Kinder abholen und die deutsche Geschichte aufarbeiten. Auch ohne Zeitzeugen soll so eine Erinnerung an dieses Zeit am Leben gehalten werden.

Text: Christina Lopinski, Bild: Birgitta Behr