Stiftung Brandenburger Tor und Akademie der Künste beziehen Stellung.
Diese Zeilen gehen auf Reisen – und sind bereits am Brandenburger Tor angekommen. „Avenidas“, das Gedicht von Eugen Gomringer, das seit sieben Jahren auf der Südfassade der Alice-Salomon Hochschule zu lesen ist, soll bald übertüncht werden. Das Studierendenparlament (StuPa) und der Allgemeine Studierenden- Ausschuss (AStA) hatten im Jahr 2016 die spanischen Zeilen des Poems gerügt. „Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“ heißt der Vers, der in spanischer Sprache verfasst ist und eine Szene auf der katalanischen Flaniermeile „Las Ramblas“ im Barcelona der 50er-Jahre beschreibt. Nach Meinung der Studentenvertreter werden darin „Frauen zu Projekten männlicher Begierde“ herabgewürdigt. Ein Jahr lang dauerten die Debatten und Abstimmungen. Im vergangenen November entschied der Vorstand der Alice-Salomon-Hochschule, dieses Gedicht von der Fassade zu entfernen und durch ein Neues ersetzen zu lassen.
Jetzt weht der Intellektuelle Gegenwind
Jetzt schlagen der Hochschule die Protestwellen auch weit über die Bezirksgrenzen hinaus entgegen: Die Akademie der Künste am Pariser Platz präsentierte bereits Anfang Februar an ihrer eigenen Fassade Gomringers Gedicht „schweigen“. Eine Aktion, die laut Akademie-Präsidentin Jeanine Meerapfel als ein Zeichen für die Kunstfreiheit zu sehen sei. Die müsse nämlich über die unsachliche Debatte zur Entfernung des „avenidas“-Gedichtes in Hellersdorf jederzeit erhaben bleiben, so die Akademie-Präsidentin. Eine Kritik, die auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) aufnahm. Als einen „erschreckenden Akt der Kulturbarbarei“ bezeichnete Grütters die ASH-Entscheidung, das Gedicht entfernen zu wollen.
Ausstellung an prominentem Platz
Als jüngster Höhepunkt in der Marzahn-Hellersdorfer Fassaden-Affäre gilt nun die Präsentation des „avenidas“-Gedichtes an der Fassade des Max-Liebermann-Hauses direkt neben dem Brandenburger Tor. Hier hat die Stiftung Brandenburger Tor ihren Sitz an Berlins bedeutendstem Ort. Die Stiftung sehe sich im Sinne von Max Liebermann in einer besonderen historischen Verantwortung. Auch dessen Gemälde wurden einst in deutschen Museen abgehängt und der Öffentlichkeit vorenthalten. Die Zensur von Kunst habe in Deutschland eine verheerende Tradition und dürfe sich nicht wiederholen, hieß es in einer Mitteilung des Hauses.
Man wolle sich besonders dafür einsetzen, dass Kunst mehr kann und darf, als einer vermeintlichen „political correctness“ zu entsprechen. „Noch bevor die geplante Übermalung das Gedicht von Eugen Gomringer in Hellersdorf zum Verschwinden bringt, verleiht ihm das Banner am Max Liebermann Haus die verdiente weite öffentliche Sichtbarkeit“, heißt es in dem offenen Brief, der vom Vorstand des Kuratoriums unterzeichnet wurde.
Das acht Meter hohe und zwei Meter breite Gedichts-Banner wird noch bis Anfang April an der Fassade hängen bleiben. Man plane derzeit eine Podiumsdiskussion zu diesem Thema, die in den kommenden Wochen stattfinden soll, teilte eine Sprecherin des Hauses mit.
Text und Bild: Stefan Bartylla