Vorbereitende Maßnahmen laufen bereits – Denkmalamt zweifelt an Rechtmäßigkeit.

Am Bau des 120 Meter langen und neun Stockwerke hohen Gebäudekomplexes „Pier 61/63“ direkt an der East Side Gallery wird wohl kein Weg mehr vorbeiführen. Der Investor, die Trockland GmbH, hat auf Anfrage des Berliner Abendblatts bestätigt, dass mit den bauvorbereitenden Maßnahmen bereits begonnen worden ist und auch die Baubeginnanzeige bereits erfolgt ist.

Damit wird nun wohl ein Plan umgesetzt, der weltweit auf Unverständnis stößt und für viel Empörung in Berlin sorgt. Ein Plan, für den die Politik seit den 1990er-Jahren die Weichen gestellt hat. Ein Plan, der laut dem rot-rot-grünen Koalitionsvertrag hätte verhindert werden müssen – und den das Landesdenkmalamt für nicht vereinbar mit dem Denkmalschutzgesetz hält.

Schwerwiegende Bedenken

Aus Sicht dieses Amts hätte es nie eine Genehmigung für die Bebauung Mühlenstraße 61-63 geben dürfen, denn an dieser Stelle seien aus denkmalrechtlicher Sicht grundsätzlich keine Baumaßnahmen zulässig, hieß es auf Anfrage. Die schwerwiegenden Bedenken, welche die Behörde zur Zeit des Bebauungsplanverfahrens geäußert habe, seien von den Verantwortlichen stets verworfen worden, so ein Sprecher. Wer wissen will, wer diese Verantwortlichen sind, muss zum Teil weit in die Vergangenheit blicken.

Wettbewerb unter Hassemer

Unter dem CDU-Senator für Stadtentwicklung Volker Hassemer war in den 1990er-Jahren ein städtebaulicher Wettbewerb „Hauptbahnhof“ gestartet worden, der die Überplanung des Gebiets um Ostbahnhof und East Side Gallery zum Ziel hatte. Schon zu dieser Zeit war neben dem heute bereits existierenden Wohnhaus ein 120 Meter langer Wohn- und Hotelblock Thema. Ein Bewusstsein für die Bedeutung der East Side Gallery gab es in der Landespolitik dieser Zeit offenbar nicht. Die Wettbewerbsergebnisse wurden Ende der 1990er-Jahre Bestandteil des so genannten Planwerks Innenstadt.

Rückkauf von Flächen

Im Jahr 2000 wurde für das heutige Living Levels-Hochhaus und den Pier 61/63-Komplex ein Bauvorbescheid auf Basis dieses Planwerks erteilt. Der damalige Bausenator Peter Strieder (SPD) wies den Bezirk Friedrichshain an, Baurecht zu erteilen.

Ein Jahr später gelang es seinem Amtsnachfolger Franz Schulz (Grüne) zwar, eine Reihe von Grundstücken auf dem ehemaligen Todesstreifen zurückzukaufen. Das Baurecht für die Wohn- und Hotel-Flächen jedoch blieb, weil der Bezirk die Finanzierung von Schadenersatzzahlungen als nicht gesichert ansah.

„Unbedeutendes Grundstück“

Der bis heute gültige Bebauungsplan V-74, der alle Flächen an der East Side Gallery, mit Ausnahme derer für das Hochhaus und den Wohn-Hotel-Komplex, wieder zu Grünflächen umwidmet, stammt aus dem Jahr 2005. Sieben Jahre später wurde auf Bezirksebene beschlossen, mit dessen Änderung das Baurecht endgültig aufzuheben. Dies wurde jedoch nie weiterverfolgt, denn Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) stellte 2012 klar: Der Senat werde keine Mittel für Tauschgrundstücke zur Verfügung stellen – er sehe keine gesamtstädtische Bedeutung für das Grundstück. Dies spiegelt die Sichtweise aus den Nachwendejahren wider: Der Todesstreifen galt als vermarktbares Brachland.

Rechtsprechung

Während dieses jahrzehntelangen Prozesses hatte sich das Landesdenkmalamt immer wieder gegen die Todesstreifen-Bebauung ausgesprochen, denn die bedeutet aus Sicht der Behörde einen Substanzverlust für das Denkmal East Side Gallery. So sieht es im Übrigen auch das „Bündnis East Side Gallery retten“, das schon vor Jahren eine entsprechende Einschätzung dazu veröffentlicht hatte.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Denkmalschutz ist relativ eindeutig darin, dass auch vorhandenes Baurecht vom Denkmalschutz eingeschränkt werden kann. Es gibt keinen Anspruch darauf, ein Grundstück verwerten zu können, wenn dadurch Denkmalschutzrecht verletzt würde. Diese Rechtsprechung ist zum Beispiel die Basis für Denkmalbehörden, wenn es darum geht, die Abrisse von denkmalgeschützten Gebäuden oder Veränderungen daran zu verhindern.

Keine Kläger

Wenn die Rechtslage so problematisch zu sein scheint, warum hat niemand geklagt? Weil es  schlicht an möglichen Klägern mangelt, denn berechtigt sind nach Einschätzung des Landesdenkmalamts nur betroffene Eigentümer. Im Fall der East Side Gallery also der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Eine entsprechende Anfrage an  Baustadtrat Florian Schmidt für ein Gespräch zum Projekt hatte das Berliner Abendblatt vor gut drei Wochen gestellt. Zustande kam das zugesagte Gespräch nicht; ein Ersatz war, offenbar aus terminlichen Gründen, bisher nicht zu bekommen.

Oliver Schlappat, Bilder: Trockland/Eller+Eller