Kritiker sehen eine Aufforderung des Bezirks zur Beschwerdeflut.

Seit Jahren engagiert sich der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg für die Eindämmung sexistischer Werbung auf Flächen an Liegenschaften des Bezirks. Mit einer neuen Handlungsrichtlinie geht er  einen Schritt weiter: Die  Broschüre  gibt Tipps, wie solche Werbung zu erkennen ist und wer  Ansprechpartner für Beschwerden sind. Das geht  einigen zu weit.

Werbung, die als sexistisch verstanden wird, findet sich überall im Stadtbild

Die 28-seitige Broschüre „Sex shouldn“t sell“ knüpft an einen Beschluss an, der bereits mehr als drei Jahre alt ist: Seit April 2014 wirkt der Bezirk darauf ein, dass auf den Werbeflächen an den eigenen Gebäuden keine sexistische, diskriminierende oder frauenfeindliche Werbung zu sehen ist. Mit den Firmen, die diese Tafeln befüllen, wurden Vereinbarungen darüber abgeschlossen. Der Leitfaden listet auf, dass zum Beispiel Werbung, die Frauen oder ihre Körperteile zum Objekt macht, sexistisch ist; die Vermittlung von falschen Körperidealen diskriminierend; dass pornografische Darstellungen ohne Produktbezug auf Werbetafeln nichts zu suchen haben sollen, ebenso wenig wie Rollen-Klischees. Zehn Kriterien umfasst die Broschüre.

Für lautes Medienecho sorgte die Tatsache, dass die Broschüre auch dazu animiert, sich an Werbetreibende, Unternehmen oder auch den Deutschen Werberat zu wenden, sollte jemandem eine kritikwürdige Werbung begegnen. Von einem „Busenbann“ war die Rede, von einer „Aufforderung zur Beschwerdeflut“ und sogar von „Steuergeldverschwendung“. „Es geht nicht um ein Verbot von Nacktheit, sondern um die in Werbung transportierten Klischees und Rollenbilder“, so die Pressesprecherin des Bezirks, Sara Lühmann, über die Leitlinien.  Die Broschüre solle aufklären und dabei helfen, zu differenzieren. Und sie soll  Handlungsmöglichkeiten  für Bürger aufzeigen, die Bedarf dafür sehen: Eine Beschwerde beim Deutschen Werberat wird darin als eine von mehreren Möglichkeiten genannt.

Dort  versteht man die entsprechende Passage als klare Beschwerdeaufforderung. Julia Busse, Geschäftsführerin des Deutschen Werberats, ist der Auffassung dass die Kriterien der Broschüre nicht widerspiegeln würden, was in der Bevölkerung als Sexismus gilt. Sie würden insgesamt zu weit gehen. Julia Busse  nennt ein Beispiel: Würden in einer Werbung für Kinderbettwäsche das Mädchen mit rosafarbener Decke, der Junge mit  einer mit Rennwagen bedruckten Decke gezeigt, sei das nach Friedrichshain-Kreuzberger Kriterien unzulässig, weil es Rollenklischees bestätige. Der Werberat hält das hingegen nicht für kritikwürdig.

Bei aller Diskussion über das Thema werden Bestrebungen zur Bekämpfung sexistischer oder diskriminierender Werbung auch in Berlin kein Kreuzberg-Friedrichshainer Phänomen bleiben. In Pankow gibt es bereits Leitlinien für Werbung auf öffentlichen Flächen, in Charlottenburg werden sie derzeit diskutiert, auf Landesebene ist das Thema im Koalitionsvertrag festgeschrieben.   Wenn die Aufregung auch zeitweise groß war, am Ende wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird: Zur Einführung der Bezirks-Leitlinien vor drei Jahren waren die Reaktionen ebenfalls sehr laut und plakativ. Tatsächlich betroffen sind ganze 27 Werbetafeln. Seit deren Einführung, so Sara Lühmann vom Bezirksamt,  habe es keinen einzigen Beschwerdefall gegeben.  Der Deutsche Werberat rechnet ebenfalls nicht mit wäschekorbweise  Beschwerden.  .

Oliver Schlappat, Bild: Imago/Steinach, Bild:  imago/Stefan Zeitz