Noch sind in der Staatsoper nicht alle Hüllen gefallen
Nach siebenjähriger Sanierung geht der Musentempel Unter den Linden in Betrieb.
lllusionen sind in der Opernwelt ein tragendes Element. Die Realität bleibt draußen, sobald sich der Vorhang hebt und die Entführung aus dem Alltag beginnt. Genauso wird es am 3. Oktober in der Staatsoper Unter den Linden sein. Offen ist noch, mit welchem Stück die Akteure ihr Publikum begeistern; vielleicht mit Gounods „Faust“, wird gemunkelt. Die Opernleute stehen unter Druck – zeitlich wegen der knappen Proben; räumlich, weil sie in einem unvollendeten Haus spielen müssen, allerdings ohne Bauhelm. Deshalb ist nach der Premiere gleich wieder Schluss, denn es muss noch weiter gewerkelt werden. Die tragenden Elemente funktionieren zwar, doch die komplexe Technik braucht weitere Feinabstimmung. Erst am 7. Dezember beginnt der reguläre Spielbetrieb; dann feiert die Oper ihren 275. Jahrestag.
Politischer Paukenschlag
So ist der 3. Oktober eine trickreiche Mogelpackung – eine erzwungene Illusion, die das Desaster einer siebenjährigen Leidenszeit und ausufernder Baukosten mit einem politisch-korrekten Paukenschlag am Wiedervereinigungstag endlich beenden soll. „Ich will hier rein“, hatte Intendant Jürgen Flimm immer drängender verkündet – hoffend, dass die Inbesitznahme des Hauses den Druck auf die Termintreue der Baufirmen erhöht und weitere Vertröstungen verhindert. Im Laufe der Jahre hat er eine ausgewachsene „Termin-Phobie“ entwickelt: Sollte die 2010 begonnene Sanierung doch ursprünglich 2013 beendet sein, dann 2014, bestimmt aber 2015, doch schlussendlich 2017… „Wer kann da planen, proben, geschweige denn schlafen?“, fragt Flimm. Unzumutbar für ein international renommiertes Opernhaus – mit einem Repertoire, das seine hochkomplexen vielfältigen Produktionen live präsentiert.
Kein Wunder
Ursachen für das (BER-ähnliche) Bau- und Sanierungsdesaster gibt es zuhauf – Grundwasser, vergessene Pfähle, marode Bausubstanz. Doch allesamt keine Überraschungen, eigentlich. Nicht nur Flimm war misstrauisch: „Der Teufel nistet im Mauerwerk“, warnte er. Doch ganz offensichtlich versäumten es die damals (kultur)-politisch Verantwortlichen, das Gebäude mit seinem Untergrund gründlich abzuklopfen. Kein dem „Baugott“ geschuldetes Wunder also, das die Sanierungskosten von 240 Millionen auf mehr als 400 Millionen hochschnellen ließ. Vielmehr wurschtige, hausgemachte Baupolitik – mit langjährig wirkenden Folgen für die Berliner Opernlandschaft.
Tolle Akustik
Jedenfalls nähert sich das „Schrecken ohne Ende“ nun sichtbar doch seinem glücklichen Ende: An der Vorderfront sind die Gerüste bereits gefallen; die um fünf Meter angehobene Saaldecke verspricht eine berauschende Akustik mit einer Nachhallzeit von 1,6 Sekunden, ein Drittel mehr als zuvor. Die Sitze sind großzügiger aufgestellt; 1.370 Zuschauer fasst der Saal, 30 weniger als zuvor.
Text & Bild: Jürgen Zweigert