Die Stolperstein-Gedenkkultur wird in Friedenau stark gelebt
Antisemitismus: In Friedenau kommt es immer wieder zu Übergriffen.
Ein 14-jähriger jüdischer Junge wird an seiner Schule, der Gemeinschaftsschule Friedenau, Opfer antisemitischer Beleidigungen und Angriffe. Er wechselt die Schule. Immer wieder werden Stolpersteine beschmiert. Die letzte Tat in der Fregestraße liegt einen guten Monat zurück. Diese und weitere antisemitische Taten rücken Friedenau immer wieder in den öffentlichen Fokus.
Lebendige Geschichte
Dabei ist Friedenau ein Ortsteil, der mehr jüdische Geschichte atmet als andere. Nirgendwo in Berlin blinken Stolpersteine auf Gehwegen zahlreicher in der Sonne und erinnern an die Opfer der Nazi-Diktatur, die einmal in den dortigen Häusern wohnten. Nirgendwo ist die Stolperstein-Initiative so engagiert wie hier. Doch der Judenhass im Kiez bleibt. Woher kommt er und wie kann man ihm entgegenwirken? Im Gespräch mit dem Berliner Abendblatt wagt Kommunikationswissenschaftlerin und Stolperstein-Aktivistin Dr. Petra Fritsche den Versuch einer Antwort. Sie vermutet, dass manche Menschen sich durch die vielen Stolpersteine und die damit verbundenen Zeremonien, Putzaktionen und Führungen provoziert fühlen.
Auch Petra Fritsche wurde schon des Öfteren Opfer von Angriffen. Vor vier Jahren beschmierte ein Unbekannter ihre Wohnungstür mit den Worten „Vorsicht! Judenfreundin“, ihr Briefkasten wurde gesprengt. Die letzte Attacke gegen sie habe es im September 2015 gegeben (ein Schreiben erreichte sie als Reaktion auf einen ihrer Blogbeiträge). Die Besprühung der Steine Anfang April war die erste nach langer Zeit. Im Jahr 2013 wurden stets und ständig Stolpersteine mit schwarzer Farbe beschmiert. „Die Übergriffe haben nachgelassen“, sagt Fritsche und sie betont auch, dass es zwar Beschmierungen gibt, dass ein Anwohner aber sofort die Polizei gerufen und die Steine geputzt habe. „Das heißt doch auch, dass dieser und andere Anwohner positiven Einsatz zeigen.“
Infos liefern
Um Antisemitismus entgegenzuwirken, seien Informationen zum Holocaust und zu Diktaturen in der Schule besonders wichtig. Gerade die moderne Gedenkkultur, von denen die Stolpersteine am erfolgreichsten seien, würden bei Kindern und Jugendlichen große Beachtung finden, weil sie sich auf verschiedenste Weise damit beschäftigen können – zum Beispiel über Apps, Recherche und Putzaktionen, weiß Fritsche. Die Stolperstein-Aktivistin, die auch regelmäßige Führungen durch Friedenau anbietet, ist zum einen wütend und traurig über jede einzelne Beschädigung, über jeden Übergriff. „Ich habe aber auch Mitleid“, sagt sie, „Mitleid mit Menschen, die es nicht ertragen, dass es Bürger gibt, die mit Empathie und großem Engagement den Lebensweg von Opfern erforschen und um sie trauern und so Geschichte sichtbar machen, die unsere Geschichte ist.“
Fritsche beschäftigt sich weiter mit der Recherche nach Opfern und den Verlegungen von Stolpersteinen – zurzeit mit 28 Menschen, die aus dem Blindenheim in der Wrangelstraße deportiert wurden. Die Verlegung von zehn Steinen findet am 1. Juni ebendort statt. Anlässlich des Tages der Befreiung am 8. Mai putzte Fritsche die Stolpersteine in ihrem Kiez. „Ich denke, dass dieses Putzen für alle Bürger ein Statement ist“, sagt sie. Und abschließend: „Ohne jemanden belehren zu wollen, können vielleicht stille Taten etwas in den Köpfen bewegen.“
Sara Klinke, Bild: imago/Uwe Steinert