Bilanz: Rassistische Übergriffe in Berlin nehmen zu.
Extrem rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten finden in Berlin täglich statt. 2016 werden mindestens 553 Menschen verletzt und bedroht. Die Angriffszahlen steigen weiter und erreichen ein erschreckendes Niveau. ReachOut, die Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, verzeichnet 380 Angriffe für das Jahr 2016. Das ist ein Anstieg von fast 20 Prozent der Gewalttaten und massiven Bedrohungen im Vergleich zu 2015. Rassismus ist wieder das häufigste Motiv (233 Taten). Auch in Friedrichshain-Kreuzberg nehmen die Übergriffe zu: ReachOut verzeichnet 40 Fälle (2015: 25).
Gefahr in der Nacht
LGBTI-Angriffe (das sind Angriffe auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Inter-Menschen) sind mit 70 Taten (2015: 43) ebenfalls gestiegen. Die LGBTI-feindlichen Angriffe geschehen meistens nachts, hauptsächlich in Kreuzberg, Neukölln und Mitte und Tiergarten. Dabei handelt es sich um innerstädtische Bezirke, in denen es Treffpunkte und Partymöglichkeiten gibt und die Betroffenen davon ausgehen, dass sie sich frei bewegen können. Im Bezirk Mitte (mit den Stadtteilen Mitte: 27, Tiergarten: 27 und Wedding: 14) finden insgesamt 68 (2015: 60) und somit stadtweit die meisten Angriffe statt. Dort sind 33 der Gewalttaten rassistisch motiviert. In Neukölln verzeichnet ReachOut 38 Angriffe, darunter massive Einschüchterungsversuche und Bedrohungen gegen Personen, die sich gegen Rechtsextremismus und für Geflüchtete engagieren. Weitere Angriffsschwerpunkte liegen in Marzahn (32), Kreuzberg (24) und Lichtenberg (20).
Öffentlicher Raum
Der größte Teil der Angriffe findet im öffentlichen Raum statt. Eine Zunahme ist im unmittelbaren Wohnumfeld zu verzeichnen. Diese Form der Angriffe ist für die Betroffenen besonders bedrohlich, weil ihnen ihre sicheren und vertrauten Rückzugsmöglichkeiten genommen werden. Allein in Neukölln fanden 13 dieser Attacken statt. Zum Beispiel: Am 23. Dezember 2016 wird in Neukölln gegen Abend das Fenster einer Wohnung, in der sich zwei Erwachsene und zwei Kinder aufhalten, von Neonazis mit einer mit Teerfarbe gefüllten Flasche eingeworfen. Es wird niemand verletzt. Der Anschlag gilt einem Antifaschisten. „Eindeutig werden diese Attacken von organisierten Neonazis begangen. Gleichzeitig gibt es im Bezirk sehr aktive Bündnisse gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Deren Aktivisten lassen sich nicht einschüchtern, sondern wehren sich konsequent und solidarisch gegen die Angriffe und Bedrohungen“, so Sabine Seyb von ReachOut.
Im Umfeld von Geflüchtetenunterkünften geschehen stadtweit 41 Angriffe. Sie bleiben damit auf einem hohen Niveau. So werden die Bewohner der immer gleichen Unterkünfte Opfer von Anschlägen, Gewalttaten und Bedrohungen. Dies gilt besonders für die Unterkunft am Glambecker Ring in Marzahn.
Verantwortung gerecht werden
Bei den meisten von ReachOut dokumentierten Angriffen handelt es sich um Körperverletzungen. Sabine Seyb weist darauf hin: „Ein Zeichen in die richtige Richtung wäre es, auch in Berlin eine weitreichende Bleiberechtsregelung für Betroffene rechter, rassistischer Gewalttaten einzuführen. Das würde den Tätern signalisieren, dass ihre Strategie der Vertreibung nicht funktionieren kann. Dann würden nicht nur zivilgesellschaftliche Aktivisten ihre Solidarität mit den Betroffenen zeigen, sondern auch die Berliner Regierung würde einen weiteren wichtigen Schritt gehen, um ihrer Verantwortung für die Opfer gerecht zu werden.“
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