Olympia: Die Bewerbung um die Spiele im Jahr 2000 scheiterte an Provinzialismus und Großmannssucht.
Entsetzte Gesichter im Sportsaal des Stadions Louis II in Monte Carlo: Gerade hatte das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Bewerbung Berlins für die Olympischen Sommerspiele im Jahr 2000 bereits im zweiten Wahlgang versenkt. Nur neun Ja-Stimmen – neun, von 88! Der verregnete 23. September 1993 war ein Schicksalstag nicht nur für die 150 Berlin-Abgesandten vor Ort. Die deutschen IOC-Mitglieder hätten es nicht geschafft, Stimmung für Deutschland und Berlin zu machen, klagte der enttäuschte Eberhard Diepgen, damals Regierender Bürgermeister (CDU) später in einer Hotelbar. Da hatte IOC-Chef Antonio Samaranch längst verkündet: „The winner is: Sydney!“
Zerrissene Stadt
Berlins Bewerbungsteam hatte alles versucht und doch alles falsch gemacht. Vor allem ignorierten die Funktionäre Volkes Stimmung. Berlin war gespalten; das fröhliche Bär-Maskottchen begeisterte nicht jeden. Die mühsame Wiedervereinigung stolperte; Wohnungsnot, Massenarbeitslosigkeit und deren sozialen Folgen beschäftigten die Menschen mehr als die Aussicht auf teure Sportspiele in der zerrissenen Stadt. Zumal auch aus Bonn keine unterstützenden Signale kamen. Leichtes Spiel für die „NOlympia“-Bewegung, angeführt von Judith Demba, damals bei den Grünen, heute bei Die Linke. Die öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Gegner waren erfolgreich. Deshalb hatte das IOC nicht den Eindruck, Berlin wolle die Spiele wirklich, resümierte IOC-Mitglied Thomas Bach später.
Etliche Skandale
Das Debakel war jedoch auch hausgemacht, geprägt von schlechtem Management und unfähigen Kampagnen der landeseigenen Olympia GmbH. Die Chefs kamen und gingen. Hochfliegende Pläne zur olympiareifen und nachhaltigen Aufwertung der maroden Stadtsubstanz wurden rasch Makulatur, Einnahmen- und Ausgabenrechnung zur Luftnummer. Zudem: Berlin wollte die Spiele „kaufen“. Aber die Marketingbeauftragten bezirzte die IOC-Granden nicht nur mit teuren Geschenken, sondern fertigte auch Dossiers über ihre sexuellen Präferenzen. Die Öffentlichkeit war empört. So ist Berlin in einer Mischung aus Großmannssucht und Provinzialität vor allem an sich selbst gescheitert. Ob dieses Olympia-Intermezzo nun 60 Millionen – wie offiziell behauptet – oder nach Berechnungen der Kritiker 250 Millionen Mark verschlungen hat, konnte auch ein Untersuchungsausschuss nicht mehr klären.
Jürgen Zweigert, Bild: imago/Lars Reimann