Gesundheit: Berliner Arztpraxen sollen nur noch in unterversorgte Gebiete verlegt werden können.
In Treptow-Köpenick gibt es um die 100 Hausärzte, in Charlottenburg-Wilmersdorf mehr als 170. Noch drastischer der Unterschied bei Frauenärzten: etwa 80 hier, deutlich über 200 dort. Zwar hat Berlin, statistisch gesehen, ausreichend Ärzte, liegt bundesweit mit an der Spitze. Doch die Ärzteversorgung ist zwischen und innerhalb der Bezirke sehr ungleichverteilt, ärmere Kieze und Randlagen sind zum Teil stark unterversorgt. Ein wachsendes Problem für weniger mobile Rentner oder Familien mit Kindern, die zu einem Arzttermin oft durch die ganze Stadt fahren müssen.
158 Umzüge
In den letzten drei Jahren sind 158 Berliner Praxen in unterversorgte Gebiete verlegt wurden. Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) ist sich mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und den Krankenkassen einig, dass Ärzte künftig nur noch „bergab“ – also in ärmere Kieze – umziehen dürfen. Dadurch konnte die wohnortnahe Ärzteversorgung innerhalb Berlins gerechter werden. Davon soll auch Neukölln profitieren. Bei 6.000 Praxen und 9.000 niedergelassenen Ärzten in Berlin seien 158 gewechselte Arztsitze vielleicht nicht viel, doch jährlich würden nur 200 bis 300 Praxen frei und nur 60 bis 80 Ärzte zögen aus eigenem Antrieb um. Dabei, so Czaja, bevorzugen sie meistens die besser betuchten Bezirke und lassen sich etwa im Osten der Stadt oder Neukölln weniger gern nieder. Die neu vereinbarte Sozialregelung schiebt dieser Niederlassungsfreiheit nun einen Riegel vor.
Erstmals werden in Deutschland Sozialkriterien für Zulassung und Verteilung von Arztpraxen herangezogen. Demografie, Bildungsgrad, Arbeitslosenquote, Krankenstand sind wichtige Indikatoren für die soziale Struktur und die Praxisdichte. Hoffnung für Treptow-Köpenick, Lichtenberg, Neukölln und Reinickendorf. Diese bisher benachteiligten Bezirke sollen künftig von der Neuregelung profitieren. So konnte Neukölln zum Beispiel seit 2013 sechs neue Psychotherapeuten dazugewinnen. Im gleichen Zeitraum verlor der Bezirk 2,5 Orthopäden-Praxen, das entspricht einem Anteil von 11,4 Prozent. In Charlottenburg-Wilmersdorf, einer der am besten versorgten Bezirke, verabschiedeten sich 19 Psychotherapeuten, die in schlechter versorgte Kieze umzogen. Das Problem sei sicher noch lange nicht gelöst, so Czaja: „Aber wir haben die unterschiedlichen Entwicklungen gestoppt und werden dies energisch gemeinsam mit KV und Kassen fortsetzen.“ Dies betrifft vor allem auch die gerechtere Verteilung von Fachärzten. Dabei kommt es allerdings auch darauf an, wie die Ärzte die Anwendung von Sozialindikatoren sehen und möglicherweise verstärkt gegen die Beschränkung ihrer Niederlassungsfreiheit klagen.
Jürgen Zweigert, Bild: imago/Westend61