Gastro: Im Restaurant „Restlos Glücklich“ wird mit Lebensmitteln gekocht, die andere wegwerfen.

Jedes Jahr landen in Deutschland mehr als 18 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll, die eigentlich noch genießbar wären. Mit dieser Nachricht schockt die Umweltorganisation WWF die Verbraucher. Landwirte können häufig bis zu einem Drittel ihrer Produkte nicht an den Handel verkaufen, weil diese eine andere Optik, als die sogenannte A-Ware haben und damit nicht den üblichen Normen entsprechen. Schiefe Gurken und Möhren, unförmige Tomaten, verbeulte Äpfel: Supermärkte entsorgen einwandfreie Produkte, weil diese kostbaren Lagerplatz wegnehmen, falsch etikettiert sind oder kurz vor dem Ablaufen stehen. Das will ein junges Start Up in Berlin jetzt ändern. Das Team von „Restlos Glücklich“ rettet diese Lebensmittel vor dem Müll und kocht daraus im Café Untertitel in der Kienitzer Straße an den Wochenenden (Freitag und Samstag von 18 bis 22 Uhr) leckere Gerichte.

Kreative Gerichte

„Die Qualität ist einwandfrei, das Gemüse sieht nur ein bisschen anders aus, als Vorschriften dies regeln. Bei uns gibt es keine abgelaufenen oder verdorbenen Waren“, sagt die Politikwissenschaftlerin Leonie Beckmann (27). Die Partner des Restaurants sind Großhändler, Supermärkte, Landwirte und auch eine Weinhandlung, die ihre unverkäuflichen Produkte aussortieren und kostenlos zur Verfügung stellen. Leonie Beckmann: „Wir holen die Lebensmittel dort ab und verarbeiten sie dann zu kreativen Gerichten.“ Die Gewinne des Restaurants fließen in einen Verein, der beispielsweise Bildungsprojekte zum Thema Lebensmittelverschwendung an Berliner Schulen organisiert. „Restlos Glücklich“ ist ein gemeinnütziges Projekt, alle arbeiten ehrenamtlich.

Die Speisekarte ist sehr unterschiedlich und richtet sich nach dem Angebot, das gerade vor der Mülltonne gerettet wurde. Dann stellt der Koch sich in die Küche und überlegt, was er daraus zaubern kann. Gibt es zum Beispiel an einem Tag besonders viel altbackenes Brot, dann kommt eben toskanischer Brotsalat auf den Tisch. Auf der Speisekarte stehen auch Cicorée-Salat mit Kapern-Sardellen-Dressing, Zucchini-Muffins auf Bärlauchgemüse oder ein vegetarisches Frühlingsmenü in drei Gängen für 19 Euro. Am 4. Juli nehmen die Kämpfer gegen den Wohlstandsmüll an Deutschlands größtem Familienbrunch teil: Ein Rekordbuffet aus aussortierten Lebensmitteln für 5.000 Menschen.

Dänische Inspiration

Die Idee für „Restlos Glücklich“ hatte die Umweltwissenschaftlerin Anette Keuchel (38) bei einem Besuch des Restaurants rub&stub in Kopenhagen. Die betreiben das Konzept der Lebensmittelrettung in Dänemark. Das war vor 19 Monaten. Mittlerweile besteht das Berliner Team aus acht ehrenamtlichen Mitarbeitern, die auch in der Küche und im Service helfen. Jetzt werden auch noch ein hauptberuflicher Koch und ein Restaurantmanager eingestellt. Das Kapital (50.000 Euro) für Deutschlands erstes Restaurant, das mit Wegwerf-Lebensmitten kocht, soll über Crowdfunding akquiriert werden.

Anne-Lydia Mühle / Bild: imago/Bernd Friedel