Jugendkriminalität: Bezirk setzt auf mehr Prävention und Repression gegen Intensivtäter.

In Berlin gibt es weniger sogenannte jugendliche Intensivtäter, doch Neukölln hat mit ihnen nach wie vor große Probleme. Abhilfe soll das „Neuköllner Handlungskonzept für integrative Hilfen und Interventionen in Familien junger Mehrfachtäter“ bringen, das Jugendstadtrat Falko Liecke und Innensenator Frank Henkel (beide CDU) jetzt vorgestellt haben.

Grenzen aufzeigen

Dieses sieht unter anderem vor, die Arbeit von Polizei, Justiz, Schule und Verwaltung besser abzustimmen. Straffällige Jugendliche sollen früher erreicht und Konsequenzen für Straftaten aufgezeigt werden. Das Handlungskonzept sieht sich in der Tradition des Neuköllner Modells der verstorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig. Von zentraler Bedeutung sei dabei die Kooperation der vor Ort mit den jungen Straftätern befassten Akteure aus Polizei, Schule, Jugendhilfe und Justiz. „Mit diesem Handlungskonzept gehen wir noch einen Schritt weiter, als es das Neuköllner Modell vorsieht“, so Liecke. „Wir beziehen alle relevanten Partner mit ein: von Jugendamt und Schule bis zu Polizei und Justiz. Den jugendlichen Straftätern und ihren Familien wird so verständlich gemacht, dass in unserer Gesellschaft kein Platz für Kriminalität ist.“

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Manche tun es immer wieder: Der Bezirk will die Familien der Täter besser einbinden, um vorzubeugen.

Kernstück des neuen Handlungskonzeptes ist die AG Kinder- und Jugendkriminalität, die beim Jugendamt angesiedelt ist. Ihre Aufgaben liegen in der aufsuchenden sozialen Arbeit, der Analyse der jeweiligen Problemlagen, der Eröffnung eines Integrationsdialoges mit dem jungen Menschen und seiner Familie und der konkreten Betreuungsarbeit. Sie ist auch Ansprechpartner für Schulen, Jugendämter, andere Behörden, Freizeiteinrichtungen, Sportvereine und Moscheen. Die AG werde an Hilfe- und Fallkonferenzen teilnehmen und bei Missachtung der getroffenen Vereinbarungen oder der Rechtsordnung Grenzen setzen. Um die Strafverfolgung zu beschleunigen, sollen die Institutionen ihr Wissen teilen. Dafür sollen die Datenschutzbestimmungen zum Teil gelockert werden. So ist vorgesehen, dass die Eltern straffällig gewordener Jugendlicher ein Formblatt zur Schweigepflichtsentbindung unterschreiben. „Wenn die Eltern nicht mitmachen, bleibt das System so löcherig wie bisher“, so Liecke. Bis zum Sommer sollen in der „AG Kinder- und Jugendkriminalität“ drei neue Mitarbeiter eingestellt werden. Diese soll sich auch arabischen „Großfamilien“ annähern. Zusätzlich startet das Pilotprojekt „Staatsanwalt vor Ort“: Zwei Staatsanwälte werden sich im Bezirk in enger Zusammenarbeit mit der Polizei ausschließlich um jugendliche Straftäter kümmern. In Neukölln gibt es laut Bezirksamt zurzeit rund 50 Schwellen- oder Intensivtäter im Alter bis zu 21 Jahren. Das sind mehr als in jedem anderen Bezirk. Mehr als 80 Prozent von ihnen würden aus Familien mit arabischer oder türkischer Herkunft kommen.

Der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber begrüßt die Initiative, die Liecke als Modell für ganz Berlin sieht, zweifelt aber an deren Ernsthaftigkeit. „Jahrelang ist wenig passiert, nun haben Henkel und Liecke das Thema im Wahlkampf wiederentdeckt“, sagt er. „Es kommt darauf an, dass Land und Bezirk das Problem ernsthaft anpacken und das Handlungskonzept langfristig mit Leben erfüllen. Um zu Erfolgen zu kommen, muss man einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren ins Auge fassen.“ Wenn die präventive Seite des Konzepts auf sicheren Füßen stehen und zu den Familien eine gute Beziehung aufgebaut werden soll, brauche das Jugendamt mehr und vor allem qualifiziertes Personal.
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