Kiezkultur: Dem Szeneladen „M99“ in der Manteuffelstraße wurde gekündigt.

Er wirkt wie aus der Zeit gefallen: Der linke Szeneladen „M99 – Gemischtwarenladen für Revolutionsbedarf in der Manteuffelstraße ist ein Überbleibsel aus dem Kreuzberg der wilden 80er-Jahre, als der Kiez noch Schauplatz der großen Straßenschlachten zwischen Hausbesetzern und Polizei war. In den Regalen stapeln sich Kapuzenpullis und T-Shirts mit roten Sternen, Magazine und Bücher über Marxismus und Antikapitalismus. Aber es gibt nicht mehr so viel Bedarf für Revolution wie früher. Und Hans-Georg Lindenau und sein Laden sind nicht mehr erwünscht. Der Hausbesitzer, Frederick Hellmann, hat ihm die Kündigung geschickt.

Die Parteien haben sich bereits zweimal im Bezirksamt am Tisch der Bürgermeisterin getroffen. „Monika Herrmann hat ein großes Interesse daran, dass es eine vernünftige Lösung, auch im Interesse des Mieters gibt“, sagt Jörg Flähmig, ein Mitarbeiter des Bezirksamtes. „Die Schwierigkeit ist, dass wir nur vermitteln können, deswegen können wir keine Partei ergreifen.“ In einigen Tagen wird es wieder Gespräche geben. Der Vermieter möchte, dass Lindenau die Wohnung zurückgibt. „Es wird wahrscheinlich keine Fortsetzung des Mietverhältnisses geben“, erklärt Lindenaus Anwalt, Burkhard Draeger. Jetzt sei nur noch zu klären, zu welchen Bedingungen Lindenau die Wohnung zurückgibt. Magnus Hengge von der Kreuzberger Kiezinitiative Bizim Bakkal bedauert die Situation sehr. „Lindenau ist in den Verhandlungen einen großen Schritt auf den Vermieter zugegangen. Das Angebot ist von der anderen Seite aber nicht angenommen worden.“ Bei dem letzten Treffen wurde vom Anwalt des Vermieters deutlich klargelegt, dass es für Lindenau und seinen Laden keine Zukunft in dem Haus in der Manteuffelstraße gebe.

Den Gemischtwarenladen für Revolutionsbedarf gibt es bereits seit 30 Jahren. Er ist ein Stück Kiezkultur und hat seinen festen Platz in der Nachbarschaft. Da Lindenau im Rollstuhl sitzt, kommen auch keine anderen Räume für ihn infrage. Sein Laden ist voll auf ihn zugeschnitten: Er ist barrierefrei und Wohnen und Geschäft sind gleichzeitig möglich. „Alle diese Faktoren führen dazu, dass es fast unmöglich ist, für ihn irgendetwas anderes zu finden“, sagt Magnus Hengge. Es sei auch wenig sinnvoll, den Revolutionsbedarf nach Spandau oder Lichterfelde Süd zu verlegen: „Er muss in Kreuzberg oder vielleicht noch in Friedrichshain bleiben, da ist seine Klientel.“ Das M99 hat ein breites Spektrum an Unterstützern aus der linken Szene, so beispielsweise das „Bündnis Zwangsräumung verhindern“. „Es ist erschreckend, wie die Gentrifizierung immer weiter um sich greift. Die hier lebende Bevölkerung wird gegen die Profitinteressen ausgespielt“, sagt Sascha Schuster vom Bündnis. Eine friedliche Lösung heißt für ihn: „In Frieden leben können. Das heißt, ich kann meine Lebensidee, wenn sie niemand anderen schädigt, weiter verfolgen. Den Frieden zu stören, heißt, jemandem diese Möglichkeit zu nehmen.“

Text & Bild: Anne-Lydia Mühle