Berlin (dpa) – Die Kippa versteckt unter der Basecap, Telefonate nur auf Englisch, möglichst wenig Kontakt zu Unbekannten: Zwei Jahre nach dem Überfall der islamistischen Hamas auf Israel berichten Überlebende des Massakers und auch andere Berliner Juden, dass sie sich auf Berlins Straßen ziemlich unsicher fühlen.
Ofir Amir sagte während einer Gedenk- und Diskussionsveranstaltung im Abgeordnetenhaus, aus Angst vor Übergriffen und Anfeindungen telefoniere er in der Öffentlichkeit mit seiner Frau nur noch auf Englisch, und nicht auf Hebräisch. Islamistische Terroristen hatten Amir am 7. Oktober 2023 während seiner Flucht vom Nova-Musikfestival ein Bein durchschossen; er wartete vier Stunden auf Hilfe und wäre fast verblutet. 20 seiner Freunde starben während oder kurz nach dem Massaker.
«Zusammen Berlin ein bisschen besser machen»
Amir, der das Nova-Festival mitorganisiert hat, appellierte an die zur Diskussion eingeladenen etwa 130 Schüler im Plenarsaal, weiter dem Hass zu widerstehen und wie er an das Gute zu glauben und sich im Alltag um andere zu kümmern. «Gebt ein bisschen Liebe, und ihr werdet sie zurückbekommen. Lasst uns zusammen Berlin wieder ein bisschen besser machen.»
Eine junge Frau, die sich am 7. Oktober 2023 mehr als 13 Stunden lang in ihrem Kibbuz unter ihrem Bett versteckt hielt, berichtete, sie wohne nun in Berlin und führe hier bewusst «ein scheues Leben in einem eng begrenzten Umfeld». Sie vermeide aus Angst vor Beleidigungen und Übergriffen im Alltag möglichst den Kontakt zu Unbekannten.
Weiter berichtete die Überlebende, sie fühle sich hierzulande auch im linken politischen Spektrum, wo sie sich immer verortet habe, ausgeschlossen – weil sie Jüdin und Israelin sei. Viele, die propalästinensisch argumentierten, hätten traurigerweise kaum Kenntnisse über den Nahostkonflikt, beklagte sie. «Ich habe das Gefühl, dass ich keinen Dialog führen kann.» Auch seien mögliche Begegnungsräume mit propalästinensischen Aktivisten «auf einer ganz physischen Ebene» nicht sicher für sie.
Ist es cool, antiisraelisch zu sein?
Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, sagte zu den Schülern, die islamistischen Terroristen hätten vor zwei Jahren «unsere gemeinsamen Werte angegriffen». Dann fragte er: «Wie kann es sein, dass es scheinbar cool ist, antiisraelisch zu sein?» Wenn dies zugleich bedeute, für die Hamas zu sein – «Dann sage ich: Stopp, liebe Freunde!» Die Hamas stehe für den reinen Terror, für die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung und ihren Missbrauch als menschliche Schutzschilde im Gaza-Krieg.
Der Rapper, Musiker und Autor Ben Salomo, selbst seit Schulzeiten hierzulande als Jude diskriminiert, berichtete, dass erst vor kurzem sein fünfjähriger Sohn, der manchmal eine Kippa trägt, in Berlin auf der Straße von Jugendlichen angepöbelt wurde. Dem kleinen Jungen seien Parolen wie «Free Gaza» hinterhergerufen worden. «Schlachtrufe gegen ein kleines Kind? Im Ernst?», fragte Salomo, der seine Kippa unter einer Basecap trägt. Bei Vorträgen, die er an Schulen halte, erlebe er, dass die judenfeindlichen Terrorgruppen Hamas und Hisbollah von manchen gefeiert würden. «Wir müssen aufhören, das zu dulden!»
Auch Kritik erlaubt und auch nötig
Die Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Cornelia Seibeld (CDU), sagte, nun gebe es aktuell Hoffnung auf die schnelle Freilassung der noch im Gazastreifen verbliebenen Geiseln, darunter sieben deutsche Staatsbürger. «Ich hoffe sehr, dass ich den Satz „Bring them home now“ heute auf einer Veranstaltung zum letzten Mal sagen muss.»
In Berlin sei der Krieg und das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung allgegenwärtig – auf den Straßen und Schulhöfen, aber auch auf Instagram und Tiktok. Deutschland werde immer für das Existenzrecht und die Sicherheit Israels einstehen, versicherte sie. Doch sei in Demokratien und zwischen demokratischen Staaten Kritik erlaubt und auch nötig. Konkret rügte sie Gedankenspiele einzelner israelischer Politiker zu einer Vertreibung der Bevölkerung aus dem Gazastreifen oder über eine Annexion von Land, das den Palästinensern gehöre.
Kein Leid mehr für niemanden
Der in Berlin lebende Rabbiner Yehuda Teichtal sagte bei einer anderen Veranstaltung am Brandenburger Tor zu den Hoffnungen auf eine Freilassung aller Geiseln: «Wir sind voller Vertrauen und Zuversicht: Alle werden nach Hause kommen. Wir wollen kein Leid mehr für niemanden. Wir wollen nichts mehr als Frieden, Ruhe, Respekt und ein positives Miteinander in der Gesellschaft.»