Berlin (dpa/bb) – Bei der Bundestagswahl zeichnet sich in Berlin ein überraschender Sieg der Linkspartei ab. Nach Auszählung von mehr als 90 Prozent der Wahlgebiete kommt die Linke auf 20,0 Prozent der Zweitstimmen. Sie wäre damit fast doppelt so stark wie bei der Wahl 2021 inklusive der Teilwiederholung 2024. Gewonnen hat sie bei Bundestagswahlen in Berlin noch nie, zuletzt lag sie auf Platz vier. Auch bei den Erststimmen führt die Linke in mindestens vier Wahlkreisen.
Bei den Zweitstimmen folgen mit knappen Abständen CDU, Grüne und AfD. Die SPD, die die letzte Wahl noch gewann, sackt danach auf 15,1 Prozent ab und liegt nur auf Platz fünf. Das wäre ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei Bundestagswahlen in Berlin seit 1990. Die Partei BSW kommt aus dem Stand auf 6,7 Prozent.
Während die CDU des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner mit 18,1 Prozent etwa auf dem Niveau der letzten Wahl liegt, verloren die Grünen deutlich auf 16,7 Prozent. Die AfD verbesserte sich erheblich auf 15,3 Prozent.
SPD-Niederlage auch auf Bundesebene
Auch auf Bundesebene musste die SPD von Kanzler Olaf Scholz herbe Verluste einstecken. Sie stürzt nach den Hochrechnungen mit rund 16 Prozent auf ihr schlechtestes Ergebnis seit 1949 ab. Berlins SPD-Landesvorsitzende Nicola Böcker-Giannini sagte, das Ergebnis sei ein harter Einschnitt und ein Weckruf für die deutsche Sozialdemokratie.
Freude hingegen gab es bei Berlins Linke über ihr gutes Abschneiden: «Wir freuen uns sehr über dieses großartige Ergebnis, nach einer beispiellosen Aufholjagd», sagten die Landesvorsitzenden Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer zum prognostizierten Bundesergebnis von fast neun Prozent. «So einen Wahlkampf haben wir noch nicht erlebt.»
Die Berliner Grünen-Vorsitzenden Nina Stahr und Philmon Ghirmai sagten zu den Hochrechnungen zum Ausgang der Bundestagswahl, ihre Partei habe sich mehr erhofft. Sie sei aber die einzige Partei, «die ihr Ergebnis weitestgehend halten konnte».
Die AfD-Landesvorsitzende Kristin Brinker sagte: «Das gute Abschneiden in Berlin erfüllt uns mit Genugtuung. Das sind optimale Voraussetzungen für die Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr.»
Hohe Wahlbezeichnung zeichnet sich ab
Bei der Wahlbeteiligung zeichnen sich vergleichsweise hohe Werte ab. Rund 2,4 Millionen Menschen waren in Berlin zur Wahl aufgerufen – gut zwei Drittel hatten ihre Stimme bis zum Nachmittag abgegeben. Größere Zwischenfälle gab es nach Angaben von Landeswahlleiter Stephan Bröchler nicht.
Zu einer Panne kam es in Berlin-Wilmersdorf. Dort konnte am Morgen ein Wahllokal in einer Jugendfreizeiteinrichtung nicht wie geplant öffnen. Die Wählerinnen und Wähler wurden zu einer fußläufig entfernten Sekundarschule geleitet, wo sie ihre Stimme abgeben konnten. Gegen Mittag öffnete das ursprüngliche Wahllokal dann doch noch. Ursache der Panne war, dass der Chip für die Tür zunächst nicht funktionierte, wie Bröchler sagte.
Proteste gegen CDU und AfD – mehrere Festnahmen
Eine Demonstration vor der CDU-Zentrale in Berlin war am Abend deutlich kleiner als erwartet – laut Polizei kamen 75 Teilnehmer, angemeldet waren 750. Bei Protesten nahe der AfD-Bundesgeschäftsstelle gab es drei Festnahmen.
In Berlin waren diesmal 18 Parteien mit einer eigenen Landesliste angetreten, sechs weniger als 2021. In den zwölf Berliner Wahlkreisen, die größtenteils den Bezirken entsprechen, standen außerdem Direktkandidaten auf dem Stimmzettel.
Jedes Jahr eine neue Wahl in Berlin
Der Wahltag in Berlin war schon der fünfte innerhalb von dreieinhalb Jahren. Bei der Bundestagswahl 2021 und der gleichzeitigen Wahl zum Landesparlament hatte es in Berlin zahlreiche schwerwiegende Pannen gegeben. Die Abgeordnetenhauswahl musste deshalb 2023 vollständig, die Bundestagswahl ein Jahr später in einem Fünftel der Berliner Wahlbezirke wiederholt werden. Im Juni 2024 folgte die Europawahl.
Bei der letzten Bundestagswahl lag noch die SPD in Berlin mit 22,2 Prozent der Zweitstimmen vorn. Es folgten die Grünen (22,0), CDU (17,2), Linke (11,5), AfD (9,4) und FDP (8,1). Die Wahlbeteiligung lag 2021/24 bei 69,5 Prozent.
Die SPD gewann damals vier Direktmandate. Grüne und CDU waren in je drei Wahlkreisen vorn, die Linke in zweien. Im bisherigen Bundestag waren 25 Berliner Abgeordnete vertreten. SPD und Grüne stellten je sechs, die CDU fünf, AfD und Linke je drei und die FDP zwei.