Fahrzeugteile liegen nach einem illegalen Autorennen in der Tauentzienstraße.
Fahrzeugteile liegen nach einem illegalen Autorennen in der Tauentzienstraße. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild

Autorennen und Polizeifluchten auf den Straßen Berlins: Allein im vergangenen Jahr hat die Berliner Justiz nach eigenen Angaben in 755 Fällen Ermittlungen gegen Raser eingeleitet.

Ein Autofahrer flieht vor einer Polizeikontrolle in Berlin-Gesundbrunnen. Mit hoher Geschwindigkeit rast er durch die Straßen. Bei der Flucht rammt der Wagen einen Bordstein, dann einen Wagen neben sich – und kracht an einer Kreuzung in ein anderes Auto. Dessen Fahrer und Beifahrer werden verletzt.

Polizisten nehmen den 35-Jährigen schließlich fest. Weshalb er vor der Polizei geflohen ist, war zunächst unklar. Klar dagegen ist: Dieser Fall vom vergangenen Donnerstag dürfte bei der Spezialabteilung für verbotene Kraftfahrzeugrennen bei der Amtsanwaltschaft Berlin landen.

Polzeifluchten sind die schlimmsten Fälle

«Polizeifluchten gehören zu den schlimmsten Fällen», sagte deren Leiter Andreas Winkelmann der Deutschen Presse-Agentur. «Da geht es den Leuten um etwas, weil sie wissen, was sie an Bord haben und deswegen das Risiko eingehen.» Nach einer statistischen Erhebung der Berliner Polizei machten derartige Fluchtfahrten etwa ein Drittel aller Raser-Fälle aus, sagte der Oberamtsanwalt. Ein weiteres Drittel seien «klassische Stechen», der Rest seien «Alleinraser».

Die Hauptstadt gilt bundesweit als ein Hotspot illegaler Autorennen. Allein im vergangenen Jahr hat die Berliner Justiz nach eigenen Angaben in 755 Fällen Ermittlungen gegen Raser eingeleitet. Das seien etwas weniger als im Jahr 2021 (799 Verfahren), erklärte Winkelmann.

Höhere Strafen seit 2017

Seit einer Gesetzesänderung im Oktober 2017 sind in solchen Fällen höhere Strafen möglich. Damals wurden verbotene Kraftfahrzeugrennen von einer Ordnungswidrigkeit zur Straftat hochgestuft. In Berlin entstand die Spezialabteilung bei der Amtsanwaltschaft, die als Ermittlungsbehörde für die Verfolgung kleinerer bis mittlerer Straftaten zuständig ist. Bei ihr werden die meisten Raser-Fälle bearbeitet. Taten, bei denen das Strafmaß über zwei Jahre liegt, werden in der Regel von der Staatsanwaltschaft verfolgt.

Neben den klassischen Beweismitteln verfolgt Winkelmanns Team immer stärker den technischen Ansatz über die Blackbox. «Wichtig sind für uns vor allem digitale Fahrzeugdaten, Navigationsdaten und Videoaufzeichnungen», erklärte er.

Seit der Gesetzesverschärfung sind laut Winkelmann in Berlin 3450 Verfahren verbotener Kraftfahrzeugrennen eingeleitet worden. 1460 Fälle davon seien abgeschlossen. Knapp 900 Entscheidungen seien inzwischen rechtskräftig, so Winkelmann. Einen Freispruch gab es nach seinen Angaben bislang nur in rund 40 Fällen.

Kaum Wiederholungstäter

Zuletzt hatte die Justiz von insgesamt rund 3.600 registrierten Fällen gesprochen. Die Differenz ergebe sich aus Doppelzählungen wegen unterschiedlicher Zuständigkeiten innerhalb der Behörden, hieß es.

Unter den rechtskräftig verurteilten Fahrern sind laut Behörde kaum Wiederholungstäter. Bereits die sofortige Beschlagnahmung des Führerscheins werde von den Tätern – in der Regel sind es Männer – als «einschneidend spürbare Maßnahme» empfunden. «Das Gesetz ist gelungen und die Strafandrohung reicht aus», so Winkelmann.

Problem: Hochmotorisierte Fahrzeuge für Fahranfänger

Gleichwohl geht er davon aus, dass die Fälle nicht weniger werden. Ein Grund dafür seien hochmotorisierte Fahrzeuge, an die auch Fahranfänger viel zu leicht kämen. Denn meist werden die Sportwagen bei Autovermietungen geliehen, beliebt sind auch Carsharing-Anbieter. Ginge es nach Winkelmann, sollte dies Fahranfängern verwehrt sein.

Regelmäßige Kontrollen sind nach Überzeugung des 57-Jährigen ein weiterer Grund für die Zahlen. «Die Berliner Polizei weiß, wo gerne schnell gefahren wird und legt sich dort auf die Lauer», so Winkelmann. Typische Strecken seien die Stadtautobahn oder gerade, breite Straßen wie etwa der Ku’damm.

Dort war im Februar 2016 bei einem Raser-Unfall ein unbeteiligter Fahrer (69) ums Leben gekommen. Mit der strafrechtlichen Bewertung dieses Falls hatte Berlin juristisches Neuland betreten bevor es zu der Gesetzesänderung kam. Beide Fahrer wurden wegen des illegalen Autorennens rechtskräftig wegen Mordes verurteilt.

Tragischer Fall im Juni 2018

Inzwischen fallen auch weitere Raser-Fälle unter die neue Gesetzgebung. «Polizeifluchten können Kraftfahrzeugrennen sein – und die sind relativ häufig in der Praxis», erklärte Winkelmann. Ein besonders tragischer Fall ereignete sich im Juni 2018 in Berlin. Damals verursachte ein Dieb bei einer wilden Fluchtfahrt vor der Polizei einen Unfall. Dabei starb in der City-West eine 22 Jahre alte unbeteiligte Passantin und später auch der Beifahrer des Mannes.

2021 bestätigte der Bundesgerichtshof die lebenslange Haftstrafe wegen Mordes. Zugleich entschieden die Richter, dass auch eine Fluchtfahrt vor der Polizei als verbotenes Kraftfahrzeugrennen gelten kann (Az: 4 StR 142/20).

Quelle: dpa