Morgan Nickolai und Olexandra im tschechischen Ostrava nach der Flucht aus der Ukraine. Bild: privat

Berliner Musiker hilft Ukrainerin bei der Flucht vor dem Krieg

Wo Morgan Nickolay mit seiner Berliner-Speedfolk-Band Cosmonautix  auftritt, ist Stimmung angesagt. In knallroten Raumfahreruniformen, mit elektronisch verstärkten Balalaikas, einem halsbrecherisch schnell gespieltem Akkordeon und russischen Texten heizen er und der Rest seiner schrillen Band dem Publikum bei kleinen und großen Konzerten ein.

Das jüngste Video der Speed-Folk-Band Cosmonautix – gedreht im Marzahner Norden.

Sogar bei Auftritten zur WM-Fanmeile und Konzerten in Mexiko, Italien, Moskau und Minsk ließ das  Quartett sein Publikum im Polka-Takt zu russischen Volksliedern tanzen.

Kulturelle Affinität

„Ich habe schon immer eine Nähe zur slawischen Lebensart und Musik gespürt. Da hatte ich nie was Politisches im Sinn – die Kultur und der Sound gefallen mir sehr“, erklärt der 34-Jährige, der in Tempelhof aufwuchs, anfangs Geige, später Balalaika lernte und russische Philologie und Musikwissenschaften an der Humboldt-Uni studierte.

Großer Augenblick

Für ihn, der die Ungerechtigkeiten des ukrainisch-russischen Krieges auch aus den Erzählungen seiner vielen ukrainischen und russischen Freunde kennt, gibt es in diesen Tagen ein wichtiges, zusätzliches Motiv für den Wunsch nach einem schnellen Ende der humanitären Katastrophe in der Ukraine. Es ist die Liebe zu einer Frau, die ihm seit Monaten ein Wechselbad der Gefühle aus Angst und Sehnsucht bereitet.

Die große Liebe

„Oleksandra habe ich bei einem Auftritt bei der Grünen Woche im Januar 2020 hier in Berlin kennengelernt. Sie war dort als Hostess am ukrainischen Messestand tätig. Es war die Begegnung mit der Frau meiner Träume – ich war sofort verliebt“, schildert der Musiker die Gefühle des ersten gemeinsamen Augenblicks. Viel Gelegenheit, diese Liebe in Nähe auszukosten, hatten die beiden seit jenen Wochen aber nicht.

Dann kam Corona

Nachdem die Ukrainerin zurück nach Kiew reiste, um dort ihr Germanistik-Studium fortzusetzen, begann die Corona-Pandemie mit Reiseverboten und Schutzmaßnahmen.

Erst im Januar dieses Jahres traf Morgan Nickolay seine Oleksandra in Kiew für einige Tage wieder. „Es war eine Zeit voller gemeinsamer Hoffnung. Ernsthafte Angst wegen der politischen Entwicklungen war in Kiew damals noch nicht zu spüren“, erinnert sich
der Musiker.

Erst Wochen nach seiner Rückkehr in Berlin habe sich die politische Situation verschärft. „Kein Ukrainer konnte sich noch vor kurzer Zeit tatsächlich vorstellen, von den russischen Nachbarn angegriffen zu werden“, erzählt Nickolay.

Fluchtplan ergriffen

Als tatsächlich die Bomben nahe Kiew fielen, stieg für Oleksandra aber die Angst ins Unerträgliche – Morgan Nickolay hatte ihr von Beginn an Hilfe zur Flucht aus dem Kriegsgebiet angeboten. Am ersten Märzwochenende war es schließlich so weit. „Es wird zu gefährlich“, lautete Oleksandras Messenger-Nachricht. Der Plan zur Flucht nach Tschechien, wo ihre Mutter lebt, war gefasst.

Der Weg zur slowakischen Grenze sei ein großes Wagnis mit vielen Straßensperren – aber vor allem für die darauffolgende Etappe brauche sie Morgan Nickolays Hilfe. Dieser reagierte sofort, lieh sich ein Auto bei einem Freund und machte sich auf die zehnstündige Reise zum vereinbarten Treffpunkt am slowakisch-ukrainischen Grenzübergang.

Absurde Szenen

„Völlig unwirkliche Situationen spielen sich derzeit dort ab. Tausende von Menschen – fast ausschließlich Frauen, Kinder und alte Leute werden mit Bussen dorthin gefahren und müssen zu Fuß bis in das slowakische Gebiet laufen“, so Nickolay, der Oleksandra von hier aus zu ihrer
Mutter ins tschechische Ostrava brachte.

Unklare Perspektiven

„Noch ist nicht klar, wie es weitergehen wird und wo Oleksandra bleiben möchte“, so der Musiker, der noch in der anschließenden Nacht wieder allein nach Berlin zurückfuhr.

 

Beide Frauen würden noch immer an ein baldiges  Kriegsende glauben. „Wenn der Krieg
länger als eine Woche dauern sollte, komme ich zu dir nach Berlin“, hatte Oleksandra ihrem Morgan schließlich zum Abschied im tschechischen Exil ins  Ohr geflüstert.

Text: Stefan Bartylla, Foto: Privat