NGBK
Künstler der nGbK vor dem Modell eines Cricket-Stadions in den Stations-Räumen am Kastanienboulevard.

Seit sieben Jahren sind Künstler der „Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst“ (nGbK) auch in Hellersdorf unterwegs, um mit Kunstaktionen und im Dialog mit Nachbarn und Bewohnern Entwicklungen im Stadtteil zu begleiten, zu kommentieren und zu forcieren.  Die Ausstellung „Durch das Archiv“ in den nGbK-Räumen im Hellersdorfer Kastanienboulevard blickt zurück auf einen Teil der bislang umgesetzten Projekte. 

 „Als wir hier anfingen, kannte ich den Bezirk eigentlich nur vom Hörensagen. Ich war zuvor in Dresden-Prohlis fünf Jahre lang in einem ähnlichen Projekt tätig und die historischen und kulturellen Zusammenhänge in DDR-Plattenbausiedlungen waren mir dadurch etwas vertraut“, sagt Adam Page, ein Sprecher der damals achtköpfigen Künstlergruppe der nGbK, die ihre eigentliche Heimat bis dahin in Kreuzberg hatte.

Umzug in die Peripherie

„Wir wollten damals rauskommen aus unserer Kreuzberger Blase und den Blick für die Peripherie, für Ost und West gewinnen. Als Berlin den Bezirk Marzahn-Hellersdorf im Jahr 2013 zum Standort für die Internationale Gartenausstellung (IGA) bestimmte, wollte  die Künstlerinitiative die Umsetzung kritisch begleiten“, erklärt Adam Page. Sie hatte die Sorge, dass der Senat das Projekt schnell und ohne Beteiligung vor Ort umsetzen würde. Die Proteste bei der Bevölkerung gegen das Groß-Event waren groß.

„Wir hatten die Idee, die Begriffe International, Garten und Ausstellung auf einer Brachfläche mit künstlerischen Aktivitäten und mit den Bewohnern zu untersuchen“, erklärt Page. „Unser allererstes Motto lautete damals „Vom Kotti zum Cotti““, erinnert sich der Künstler. Auch die Diskussion um die „Deutsche Wohnen“ am Kottbusser Tor war gerade aufgekommen, als sie in Hellersdorf noch gar nicht so präsent war – aber ihren Anfang nahm.

Heute besitzt die viel diskutierte Wohnungsbaugesellschaft große Siedlungsteile, wie die im Kastanienboulevard unweit des U-Bahnhofes Cottbuser Platz in der die Hellersdorfer Dependance der nGbK, die station urbaner kulturen, ihren Sitz hat und in der auch die aktuelle Archiv-Ausstellung der Initiative zu sehen ist.

Aktionen inszenieren

„In den Kunst-Aktionen hier im Bezirk ging es den Künstler*innen immer um die Auseinandersetzung mit der Stadt, dem Status der Peripherie und der Gesellschaft“, erläutert Kunsthistorikerin Constanze Musterer die in dieser Ausstellung dokumentierten Projekte. Wichtige Ereignisse dabei: Die Inszenierung einer Brachfläche am U-Bahnhof Cottbusser Platz zu einem Ort für Kunst- und Gemeinschaftsaktionen, Gestaltungsprojekte auf den U-Bahnhöfen Cottbusser Platz und Schillingstraße sowie auf den Fußgängerbrücken am U5-Bahnhof Kaulsdorf Nord. Es wurden Fotos und Bilder ausgestellt, Feste und Events organisiert, Geschichten erzählt und Konzerte veranstaltet – gekocht, getanzt und gefeiert. Themen wie Kolonialismus, Wertewandel, Bildung und Rassismus bekamen zu vielen dieser Aktionen eine Projektionsfläche für Diskussionen.

Den Aktionsstart gab es im Jahr 2014, als die nGbK-Arbeitsgruppe ihre Projektzentrale am Cecilienplatz nahe dem U-Bahnhof Kaulsdorf-Nord eröffnete. Die „station urbaner kulturen“ wurde zur Anlaufstelle für Anwohner, Initiativen und Künstler mit einem eigenen Standort. Das ehemalige Ladengeschäft wurde als Vermittlungsangebot für den Kiez und engagierte Bürger ‚draußen’ installiert. Der Ort etablierte sich schnell zu einem Treffpunkt für Debatten und Präsentationen.

Flexible Formate

„Unter der großen Fragestellung „Was ist draußen?“ kamen wir ursprünglich hierher. Von Beginn an war klar, dass wir als Arbeitsgruppe die Folgen der künstlerischen Aktionen hier direkt vor Ort betreuen müssen. Wir wollten keine „heiligen Werke“ mit Urheberrechten installieren –unsere Aktionen hatten flexible Formate, die man weiter entwickeln konnte – auch selbst wenn die Künstlerinnen schon längst nicht mehr direkt daran beteiligt sind“, erläutert Adam Page das Konzept der nGbK für Hellersdorf.

Bester Beweis dafür war und ist die Grünfläche am U-Bahnhof Cottbusser Platz auf dem ein Ort für Dorffeste und andere Aktionen mit Kunstbegleitung etabliert werden sollte. Tatsächlich entstand hier auch ein Ort, an dem Jugendliche aus der benachbarten Flüchtlingsunterkunft die Ballsportart Cricket trainierten und spielten. Daraus entwickelte sich mit dem AC Berlin eine eigene Cricket-Abteilung und Berlins erste Frauenmannschaft, sogar mit Bundesligabetrieb. Über die Weiterverwendung der ursprünglichen Fläche diskutieren nun heute noch Künstler, Sportler, Nachbarn und Politiker.

Mit Bürgerbeteiligung

Stadträtin Juliane Witt (Die Linke) ist am Vernissage-Abend der Archiv-Ausstellung im Hellersdorfer Kastanienboulevard zu Besuch – und fühlt sich wie auf einer Einwohnerversammlung. Es geht um den Trainingsplatz für die Cricketspieler,*innen, um Grünflächen und um Schulbau. „In unserem Bezirk sind die Veränderungen nicht so berechenbar wie in dichter bebauten Berliner Stadtteilen. In den Innenstadtbezirken gibt es Orte, da fehlt ja einfach nur ein Vorderhaus. Dort sind die Entwicklungsperspektiven zu den Nutzungen schon etwas mehr vorgegeben.  Hier in Hellersdorf sind die Voraussetzungen anders“, erläutert sie im Interview. Hier habe man in den ersten Nachwendejahren Abbruch erlebt. Schulen, Häuser und Einrichtungen verschwanden nach und nach.    

Freiräume nutzen

Jetzt wachse der Bezirk seit wenigen Jahren wieder und man bekäme ganz neue Aufgabenstellungen in der Stadtgestaltung auf die Tagesordnung. „Dort, wo die Nachbarn heute Grünflächen vorfinden, könnten bald schon wieder Kitas oder Schulen entstehen. Früher lautete die Frage in der Bevölkerung: „Wann passiert hier endlich was? – heute wächst der Bezirk und es tut sich was“, erläutert sie die Entwicklungen, zu denen es mitunter massive, ablehnende Haltungen gäbe. „Man ist gegen Neubauten, gegen die IGA und hat Ressentiments gegenüber den Flüchtlingen. „Wo bleiben wir eigentlich?“ höre ich oft von einigen Bürgern“, erläutert sie.  Es gehe jetzt einerseits darum, die noch verbliebenen Freiräume zu nutzen und andererseits neue Funktionen für den Bezirk zu entwickeln.

Fernab der Kunstklientel

„In diesem Zusammenhang bin ich sehr dankbar, dass auch die nGbK unseren Bezirk angenommen hat und diese Prozesse mit begleitet. Die Arbeit der station urbaner kulturen hat uns einige gute Impulse gegeben“, sagt Juliane Witt und erläutert, dass es besonders wichtig war, dass die Künstler eben nicht aus dem Bezirk kamen, sondern mit ganz eigenen Hintergründen zu vielen städtebaubezogenen Projekten die Bevölkerung mit einbezogen hätten.

„Ich habe vor dieser Arbeit großen Respekt. Die Künstler sind hierher gekommen, wo sie nun wirklich keine ausgesprochene Kunstklientel vorfinden. Sie stellen sich dem Ort und den Herausforderungen“, so die Stadträtin.

Auf Nachfrage bestätigen Künstler Adam Page und Kunsthistorikerin Constanze Musterer diesen Umstand durchaus als treibendes Motiv. „Für uns sind die Momente ja auch besonders beeindruckend und wertvoll, wenn über die Kunst hinweg ein Gespräch stattfindet“, erklärt Page an diesem Vernissage-Abend, an dem über einer Feuerstelle vor der Kunst-Galerie am Kastanienboulevard Eintopf gekocht wird und sich die Nachbarn aus den umliegenden Wohnungen am Kochtopf treffen. „Mir gefällt es sehr, wenn über Kunst und Kreativität ein Austausch geschieht und man sich auf Augenhöhe ernst nimmt“, beschreibt die Kunsthistorikerin das Gefühl des Abends in einem der einkommensschwächsten Straßenzüge von ganz Berlin.

Neue Ziele – neuer Standort?

Wir wünschen uns schon lange, noch einmal einen präsenteren Standort zu beziehen und waren vor Corona bereits auf der Suche nach noch größeren Räumen“, sagt Page. Am Alice-Salomon Platz im Stadtteilzentrum Helle Mitte könne er sich einen neuen Standort gut vorstellen.

Die “station urbaner kulturen” befindet sich im Auerbacher Ring 41, 12619 mit dem Eingang am Kastanienboulevard, neben dem Lebenshilfe e.V.)

Die Ausstellung „Durch das Archiv“ ist bis zum 13. März 2022 verlängert worden.Donnerstags + Samstags in derr Zeit von 15 bis 19 Uhr ist geöffnet. Am 19.2. um 18 Uhr gibt es ein Künstlergespräch im Rahmen der Ausstellung. Anmeldungen unter: station-urbaner-kulturen@ngbk.de

DIe Projektseite der aktuellen Ausstellung ist im Internet hier zu finden.

Text und Bild: Stefan Bartylla