Zwischen Öffnung und Lockdown: Berliner Gewerbetreibende wollen ihr Schicksal endlich wieder in die eigene Hand nehmen, anstatt auf staatliche Hilfen oder neue Verordnungen zu warten.
Mit den aktuellen Corona-Beschlüssen wollen Bund und Senat den Handel aus dem Winterschlaf holen. Schrittweise soll in den Einkaufsmeilen neues Leben einziehen. Viele Geschäfte dürfen seit Wochenbeginn unter strengen Auflagen wieder Kunden empfangen.
Gewerbetreibende freuen sich nicht nur auf dringend benötigte Einnahmen: Sie wollen ihr Schicksal endlich wieder in die eigene Hand nehmen, anstatt auf staatliche Hilfen oder neue Verordnungen zu warten. Das wünschen sich auch die Inhaber von Kneipen, Restaurants, Cafés und Fitnessstudios. Für sie gilt weiterhin das Öffnungsverbot. Mit jeder Öffnung an anderer Stelle wächst ihr Wunsch, ebenfalls wieder das Geschäft anzukurbeln.
Hoffnungen für das Kreuzberger Kiezherz
Mehr Freiheiten will auch Nick Bajaku, Betreiber des Eiscafés Venezia in der Kreuzberger Stresemannstraße. „Seit sieben Jahren ist das Café ein Herzstück im Kiezleben“, erklärt er. Vor dem Lockdown trafen sich Nachbarn auf der kleinen überdachten Terrasse bei einem italienischen Kaffee schon am Vormittag. Im Winter gab es gebrannte Mandeln, Paradiesäpfel, Lebkuchenherzen und Zuckerwatte für die Touristen aus den zahlreichen Hotels in der Nachbarschaft.
Nun herrscht Notbetrieb. Kinder wählen an der Außentheke ihre Eiscremekugeln für die Waffel zum Mitnehmen. „Aufgrund der Corona-Vorschriften wollte das Ordnungsamt schon einige Male den Verkauf an unserer kleinen Theke verbieten“, erklärt Bajaku. Er legte Einspruch vor Gericht ein – und bekam Recht.
„Was bleibt, ist aber die Ungewissheit der vergangenen Monate. Sie zehrt sehr an den Nerven“, erklärt der Händler und Barista, der mit dem Eiscafé den Unterhalt für seine sechsköpfige Familie bestreitet. Unterstützung vom Amt sei in seinem Fall viel zu schwierig gewesen. „Ohne die Hilfe von Freunden und der Familie wäre ich doch schon längst pleite“, erklärt Bajaku, dessen Café während der gesamten Winterzeit geschlossen blieb.
Er ist kein Einzelfall. Privatdarlehen sind laut einer IHK-Umfrage vom Februar eine der wichtigsten Finanzierungshilfen für Soloselbstständige während der Corona-Zeit. 37 Prozent der Kleinstunternehmer griffen auf die finanziellen Hilfe von Familie und Freunden zurück. Bajakus Hoffnung ruht nun darauf, dass er ab dem 28. März endlich wieder ein paar Stühle und Tische vor seine kleine Eistheke stellen darf. „Dann müssen unbedingt wieder mehr Touristen in die Stadt kommen und die Straßen sich wieder mit mehr Menschen füllen. Erst dann geht es wieder richtig weiter“, sagt er.
Schmuckpalast: Ohne Touristen läuft nichts in Mitte
Viel Optimismus ist Abdullah Khan nicht geblieben. Er betreibt seit über 20 Jahren seinen Laden für Schmuck- und Edelsteine, den Schmuckpalast in der Sophienstraße in Mitte. „Das für uns so wichtige Weihnachtsgeschäft fand sowieso nicht statt, weil ich ja ab Mitte Dezember schließen musste. Und jetzt wird es auf absehbare Zeit auch wirklich nicht viele Touristen in der Stadt geben. Die sind für meinen Umsatz aber sehr wichtig“, sagt Khan, der drei seiner fünf Angestellten in den vergangenen Monaten entlassen musste.
“Ich selbst hatte am Anfang des Lockdowns noch viele Pläne. Die habe ich nach einigen Wochen aber allesamt wieder verworfen“, so Khan. Viel zu unsicher sei die Verordnungslage gewesen. „Mal sollte geöffnet werden. Mal unter anderen Umständen. Und immer wieder wurden die Termine nach hinten verschoben“, erklärt der Schmuckhändler, der auch Edelsteinmessen in ganz Deutschland regelmäßig veranstaltet. „Die fallen auch flach“, so Khan, der besonders die Entlassungen seiner Mitarbeiter bedauert. „Außerdem werde ich große Probleme haben bekommen, wieder gute Leute zu finden“, weiß er schon jetzt.
Für die aktuellen Bestimmungen zum Publikumsverkehr hat er kein Verständnis. “Ich habe 200 Quadratmeter Geschäftsfläche und in den Schmuckladen kommen doch immer ganz vereinzelt Kunden”, sagt er. Die Regeln, die für einen Supermarkt gelten, seien auf sein Gewerbe nicht anwendbar. „Ich denke, dass viele Entscheidungen ganz anders getroffen worden wären, wenn die Gehälter von Politikern und Verwaltungsbeamten während der Corona-Maßnahmen auch um 30 Prozent gekürzt worden wären“, gibt er zu bedenken.
Die Friseurin für die Charlottenburger Nachbarschaft
Mit einer Menge Hoffnung hingegen blickt auch Friseurmeisterin Sertap Acar den nächsten Monaten entgegen. „Die Hälfte des vergangenen Jahres musste ich den Laden ja geschlossen halten“, sagt sie. Sie habe fast täglich darauf gewartet, dass etwas passiere.
„Man lebt völlig unruhig und ohne Ziel – es fehlt die Struktur des Jobs“, sagt die Inhaberin des kleinen Salons „Papillon“ mit den vielen hochbetagten Stammkunden aus der Charlottenburger Nachbarschaft.
Seit dem 1. März darf sie wieder öffnen. „Viele Kunden werden erst wieder in meinen Salon kommen, wenn sie geimpft sind“, sagt Acar, die ihren Salon seit 24 Jahren unweit des Richard-Wagner-Platzes führt. Mit der finanziellen Unterstützung vom Senat sei sie bislang ganz gut ausgekommen. „Meine eigenen Reserven sehe ich aber trotzdem so langsam schmelzen – Strom, Miete und Telefon laufen ja weiter“, sagt sie und hofft nun, dass mit den Impfungen bei den Hausärzten alles viel schneller gehen wird und sie ihre Stammkunden bald wieder begrüßen kann.
Mit dem Zugriff auf ihre finanziellen Rücklagen ist Acar keine Ausnahme. Laut IHK bedienten sich im vergangenen Jahr 72 Prozent aller Soloselbstständigen an ihren privaten Ersparnissen, um ihre Verdienstausfälle zu kompensieren. Fast jeder Fünfte musste dabei auch auf seine private Altersvorsorge zurückgreifen.
Viel Platz, aber kein Umsatz
Kompensation zum Verdienstausfall ist im Fall „Wartenberger Hof“ ein schwieriges Unterfangen. „Mein Umsatz liegt seit dem Frühjahr 2020 bei null Euro“, sagt Geschäftsführer Michael Schmidt. Dessen Gaststätte mit der riesigen Freifläche im Norden von Hohenschönhausen ist seit zwölf Monaten geschlossen.
Außenveranstaltungen wie das Wartenberger Osterfeuer mit bis zu 4.000 Besuchern, das Grill & BBQ Festival, das Mittelalterfest oder die diversen Auto-Tuning-Events wird es nach den Ausfällen im vergangenen Jahr auch 2021 nicht geben. „Mit den schrittweisen Lockerungen können wir zurzeit auch keine verbindlichen Angebote für die Ausrichtung von Familienfeiern herausgeben“, erklärt Schmidt. Es sei schließlich immer noch unklar, wann genau welche Regelungen gelten werden.
„Auch die Beschränkungen der Personenzahlen, Abstandsgebote und das Verbot offener Buffets macht eine wirtschaftliche Durchführung solcher Events derzeit unmöglich“, erklärt der Gastronom, der sich bereits einen passenden Aprilscherz für dieses Jahr bereitgelegt hat. „Statt des großen Osterfeuers mit 3.500 Zuschauern auf unserem Gelände könnten wir gemäß Corona-Auflagen 70 Feuer mit jeweils 50 Gästen vorbereiten“, so Schmidts nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag.
Datum: 10. März 2021, Text: Stefan Bartylla, Bilder: Stefan Bartylla, Wartenberger Hof, privat