Bald erklingt auch das neue Glockenspiel.

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Noch leuchtet die neue Spitze kupferrot und golden

Berlin hat ein neues Wahrzeichen – und noch leuchtet es kupferrot in der Sonne. Doch die neue Turmspitze der Parochialkirche im Klosterviertel wird sehr schnell und sehr planmäßig Patina ansetzen. Wer also mal eine nigelnagelneue Kirchturmspitze bewundern will, muss sich beeilen.

Apropos: Für den früheren Unternehmer Hans Wall geht der Wiederaufbau der alten Mitte auch viel zu langsam. Beim Richtfest in der überfüllten Parochialkirche konnte er sich einen Seitenhieb auf das kleinkarierte Denken „gewisser Denkmalschützer und Stadtplanerinnen“ nicht verkneifen, die meinten, die vom Krieg gerissenen Lücken mit moderner Ästhetik kaschieren zu müssen. Als Initiator und treibende Kraft des Wiederaufbaus des Kirchturms und seiner einmaligen Singuhr forderte Hans Wall aber auch die Bürger auf, sich stärker für die Wiederauferstehung der Altstadt von Berlin zu engagieren und am besten gleich dem Verein „Denk mal an Berlin“ beizutreten. Sein Ziel: Die Zahl der Mitglieder von heute 350 auf 1.000 zu erhöhen. Dann, so Wall, könnte das historische Zentrum der einstigen Teilstadt Cölln, also das Klosterviertel, bald wieder hergestellt sein.

Der Turm der Parochialkirche wurde in den vergangenen Monaten für rund 3,5 Millionen Euro restauriert. Damit sind die wesentlichen Arbeiten am ältesten evangelischen Kirchenbau Berlins so gut wie erledigt. Baubeginn für die Parochialkirche war 1695. Einige Jahre vor dem Orgelbau hatte Friedrich I. 1713 der Kirche ein Glockenspiel spendiert. Dafür wurde im Turm eigens ein Zwischengeschoss eingezogen. Insbesondere im frühen 20. Jahrhundert wurde das Glockenspiel durch regelmäßige Übertragungen im Radio europaweit bekannt und begeisterte nicht nur die Berliner, sondern die vielen Gäste aus aller Welt. Nach einem Bombentreffer im Mai 1944 brannte der Glockenturm vollständig aus und stürzte in das Kirchenschiff. Nach dem Krieg wurde die Kirche nur notdürftig gesichert und bekam lediglich in den 80er Jahren anlässlich der 750-Jahr-Feiern der Stadt ein neues Dach.

„Die Singuhrkirche, wie sie genannt wurde, ohne Turm und Glockenspiel war ein trauriger Anblick“, sagte Hans Wall, der rund 420.000 Euro spendete, damit neue Glocken gegossen werden konnten. 52 sind es jetzt, früher waren es 37. Sie kommen von der gleichen Firma, der holländischen königlichen Glockengießerei Petit & Fritsen, die schon vor rund 300 Jahren das historische Glockenspiel angefertigt hatte. Das neue Glockenspiel soll dreimal pro Tag erklingen und seine Melodien je nach Tages- und Jahreszeit wechseln.

Manfred Wolf / Bilder: Fritz Zimmermann