Julia und Evelyn Csabai
Julia (l.) und Evelyn Csabai erzählen mit viel Liebe von Geschichten am Flughafen Tegel.

Zum Ende für den Flughafen in Tegel erscheint ein Bestseller-Buch in Neuauflage

Eine Flieger-Ära geht demnächst zu Ende. Am 8. November schließt der Flughafen Berlin-Tegel endgültig seine Türen. Bis dahin bleibt die Dachterrasse des Flughafens geöffnet und ermöglicht zum letzten Mal hautnahe Kerosin-Erlebnisse.

Erlebnisse, wie sie die beiden Autorinnen Julia und Evelyn Csabai in ihrem Buch „Allerletzer Aufruf Tegel“ gesammelt haben. Die skurrilsten und schönsten Tegel-Momente aus über 20 Jahren Arbeit im Sechseck haben die beiden zusammengetragen und setzen so dem Dinosaurier unter den Flugplätzen, seinen Mitarbeitern und seinen Passagieren ein Denkmal.

Tiefer Schlaf

Einer dieser Millionen von Passagieren, die von Tegel in die Welt flogen, oder in Berlin landeten, blieb den Schwestern besonders in Erinnerung: „Auf dem Gang stolperte ich fast über einen am Boden schlafenden Mann. Nichts Seltenes.“ Ständig sei man ja in Tegel auf Obdachlose gestoßen. „Doch noch nie hatte ich einen Schlafenden vor einem Ankunfts-Gate mitten im Durcheinander der Wartenden gesehen. Er lag auf dem Bauch und schlief tief und fest.“

Es müsse ein bezaubernder Moment gewesen sein, als eine junge Frau aus dem Gate kam, ihre Tasche ablegte und anfing, den Schlafenden sanft zu streicheln und wach zu küssen. Leise flüsterte sie ihm zu: „Ich bin gelandet.“ Lächelnd habe er die Augen geöffnet, sie hätten sich umarmt und gingen davon. Liebende in Berlin. Überhaupt, die Liebe. Aus jeder Zeile des überarbeiteten und neu aufgelegten Buches spricht die Liebe der Autorinnen zu einem sehr besonderen Arbeitsplatz. Eine große Familie sei die Belegschaft hier gewesen.

Vergessenes Baby

Und wie in jeder guten Familie werden die besten Geschichten über Generationen weiter erzählt. Geschichten über Liegengelassenes und Vergessenes etwa. Der skurrilste Fund? Conny, eine Mitarbeiterin, die 30 Jahre lang bei Lost and Found in Tegel arbeitete, überlegt: Ein Herr mit einem Holzbein hatte einmal sein Bein an Bord vergessen.

Doch noch irrwitziger scheint in der Rückschau eine Episode mit einer jungen Frau, die gerade aus London gelandet war. Am Gepäckband fiel es ihr siedend heiß ein: „O Gott, o Gott“, schrie sie und wollte sofort zurück in den Flieger. Doch die Sicherheitsmänner blieben hart, bis sie bekannte: „Aber mein Baby, ich habe mein Baby im Flugzeug vergessen!“

Voller Schrank

Die Schwestern erinnern sich an die Hochzeit der Fluggesellschaft Pan-Am, als Tegel ein flirrender Umschlagplatz der jungen Fliegerfamilie war, in der jeder jeden kannte. Mit einem Blankoticket eroberten sich die Mitarbeiter von Tegel aus die ganze Welt.

Die Homebase in Berlin versorgte die feierwütigen Stewards und Stewardessen mit Drinks. Auch auf der Tegeler Polizeiwache sollen die Beamten einen ganzen Schrank voll Bier und Schnaps gehabt haben. Stets Freund und Helfer.

Datum: 29. Oktober 2020, Text: Stefanie Hildebrandt, Foto: Daniela Eger


Unsere neue, sechsteilige Serie zum Flughafen Tegel beginnt in der kommenden Ausgabe am 7. November.