Nach Ankündigungen von Siemens drohen Beschäftigte mit Streik.

Der renommierte „Preis für Verständigung und Toleranz“ ging in diesem Jahr an Ex-Bundespräsident Joachim Gauck und an den Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG, Joe Kaeser. Die Jury würdigte in dessen Fall unter anderem das „Engagement zur Förderung von Toleranz, Respekt und Vielfalt bei Siemens“. Einen Monat später ist der Geehrte drauf und dran, als der Siemens-Boss in die Geschichte einzugehen, der für den brutalsten Stellenabbau der jüngeren Firmengeschichte gesorgt hat. Toleranz, Respekt, Vielfalt – den Siemensbeschäftigten des Dynamo- und des Gasturbinen-Werkes in Spandau fallen zu Joe Kaeser derzeit wahrscheinlich ganz andere Begriffe ein.

Weniger Nachfrage

Große Tradition: das Siemens-Dynamowerk um 1929

11.600 Menschen arbeiten in Berlin für Siemens in fünf Werken, wie dem Gasturbinen- oder Messgerätewerk, dem Dynamo- oder Schaltwerk und dem Werk für Bahntechnik. 900 Arbeitsplätze in Berlin sind jetzt in Gefahr, davon 300 im Gasturbinenwerk in Moabit und 570 im Dynamowerk in Siemensstadt, wo unter anderem auch Motoren für Kreuzfahrtschiffe und U-Bootantriebe hergestellt werden. Begründet wird der geplante Stellenabbau mit einem Rückgang der Nachfrage vor allem bei den Gasturbinen für Kraftwerke und großen Elektromotoren für die Industrie, sagt Janina Kugel die Personalchefin von Siemens bei einer Veranstaltung der Nürnberger Zeitung.

Auf dem nach Redaktionsschluss geplanten alljährlichen Treffen der Siemens-Betriebsräte in Berlin dürfte es heiß hergegangen sein. Denn was die Arbeitnehmervertreter besonders ärgert, ist die Tatsache, dass Siemens zum Beispiel in seiner Kraftwerkssparte zuletzt immer noch eine Umsatzrendite von acht Prozent eingefahren hat. Gewinne und Arbeitsplatzabbau – das ist eine hochexplosive Gemengelage.

Wichtiges Thema

Siemens-Chef Joe Kaeser

Für den Wirtschaftsstandort Berlin wäre die einhundertprozentige Umsetzung der Konzernpläne eine Katastrophe. Siemens ist der größte industrielle Arbeitgeber in der Stadt. Unterstützung bekommen die Mitarbeiter deshalb von der Berliner Landesregierung. Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Popp von den Grünen gegenüber dem RBB: „Natürlich erwarten wir auch, dass nicht nur einseitig Arbeitsplätze abgebaut werden, sondern auch investiert wird in die Standorte, Zukunftstechnologien, das Thema Digitalisierung beispielsweise sollte für Siemens auch ein wichtiges sein, um eben auch neue Arbeitsplätze nach Berlin zu holen.“

Und noch eine Hiobsnachricht, die mitten ins industrielle Herz Spandaus zielt: Der Leuchtmittelhersteller Ledvance will seine Werke in Berlin und Augsburg offenbar bis Ende 2018 schließen. Nach Gewerkschaftsangaben sollen allein in Spandau 220 Beschäftigte ihren Arbeitsplatz verlieren. Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall für die deutsche Hauptstadt, Klaus Abel, meinte, es sei „offensichtlich, dass es MLS durch den Kauf von Ledvance nur darum ging, sich einen Marktzugang nach Deutschland und Europa zu sichern.“

Manfred Wolf, Bilder: Siemens AG