Lichterfelde-West: Auf Spurensuche im ältesten Villenviertel Berlins


In unserer Serie „Streifzüge – Kiez für Kiez durch Berlin“ haben wir Sie eingeladen, mit uns für Sie bislang noch unbekanntes Berliner Terrain zu entdecken. Das Schöne daran: Das Abenteuer befand sich quasi vor Ihrer Haustür. Oder Sie wohnten gar in dem Kiez, durch den unser aktueller „Streifzug“ führte? Unser vorerst letzter Ausflug bringt uns nach Lichterfelde-West.


Am S-Bahnhof Lichterfelde West angekommen, sind wir schon mittendrin in der ältesten und vielleicht verwunschesten Villenkolonie Berlins. Das Bahnhofsgebäude selbst, das im Stile einer toskanischen Villa errichtet wurde, hat der Hamburger Unternehmer Johann Anton Wilhelm von Carstenn veranlasst und finanziert. Er hatte das Gebiet der heutigen Villenkolonie erworben und die Villenkolonie gegründet.

Integrierte Galerie

An der Ecke zur Curtiusstraße steht links das reich verzierte und farbenfroh bemalte Ermisch-Haus. Das vom Architekten Wilhelm Sander 1895 geplante Haus ist seit dem Jahr 1900 bis heute im Besitz der Familie Emisch. Die Nachkommen betreiben dort ein Immobilienbüro mit integrierter Galerie. Weiter in der Curtiussttraße ist bald eines der ältesten Gebäude der Siedlung zu finden: Die denkmalgeschützte Villa Holzhüter, wegen ihrer Bauweise auch florentinische Villa genannt, stammt aus dem Jahr 1875. Sie wurde vom Architekten P. Fingerling für den Kaufmann Theodor Holzhüter geplant.

Beginnende Moderne

Nicht nur Villen finden sich in Lichterfelde West, auch die Präsenz des Militärs hat den Ortsteil geprägt. Davon zeugt unter anderem das Rother-Stift an der Ecke Friedrichstraße/Kommandantenstraße. Das Stift wurde Ende des 19. Jahrhunderts im Stile der märkischen Backsteingotik errichtet. Interessant ist die 1914 eingeweihte Johanneskirche weiter südlich am Johanneskirchplatz, ein an Barock und Klassizismus erinnernder Kuppelbau mit Anklängen an die beginnende Moderne.

Besonders spektakulär sind die Häuser in der und um die Potsdamer Straße herum. Die Nummer 22 wurde von Alfred Grenander und Otto Spalding im Jugendstil erbaut. Die Nummer 6 ist einem englischen Landhaus nachempfunden, die Nummer 9 – das Potsdamer Schlösschen – beherbergt heute eine Kita. Die Hausnummern 57a und 63 sind von Gustav Lilienthal im neogotischen Tudor Revival errichteten Villen. Das gleiche gilt für Nummer 4 und 5 in der Marthastraße. Letzteres war Lilienthals Wohnhaus, woran eine Gedenktafel im Vorgarten und ein Namensschild am Tor erinnern.

Funktionelle Verzierungen

In der Paulinenstraße treffen wir auf weitere Lilienthal-„Burgen“. An den Hausnummern 24 bis 28 kann man die Details des Tudorstils wie Zinnen und Türmchen und sogar Brücken über dem Burggraben bestaunen. Interessanterweise sind all diese Verzierungen keine Spielerei, sondern funktionell: Die sogenannten „Burggraben“ erlauben Tageslicht im Untergeschoss, in den Türmchen verstecken sich oftmals Lüftungsschächte oder Schornsteine. Im Weddigenweg sind die Villen mit den Nummern 8, 9, 16 und 17 vom jüngeren Bruder des Flugpioniers Otto Lilienthal entworfen worden. Sie haben aber bis auf die Nummer 17 keinen so offensichtlich burgähnlichen Charakter.

Lohnender Abstecher

Zum militärischen Erbe Lichterfeldes zählt die ehemalige Preußische Hauptkadettenanstalt in der Finckensteinallee. 1872 erbaut, ist hier heute das Bundesarchiv untergebracht. Über die Karwendelstraße (oder quer durch die Villenkolonie) gelangen wir zum Dorfanger von Lichterfelde am Hindenburgdamm. Wie eine Mittelinsel liegt er in der mehrspurigen Straße. Hier steht die alte Dorfkirche aus dem 14. Jahrhundert mit dem Friedhof, auf dem sich das Grab von Gründer Carstenn befindet, sowie die um 1900 erbaute Pauluskirche.

Von hier lohnt ein Abstecher in den nahen Schlosspark. Im Gutshaus Lichterfelde, auch „Carstenn-Schlösschen“ genannt, residierte der Kolonie-Begründer ab 1862. Heute kann man hier werktags im Nachbarschaftscafé des Stadtteilzentrums Steglitz Kaffee und Kuchen mit Park-Blick genießen.

Datum: 5. März 2020 Text: Stefanie Pott Bild: imago images/Schöning