Neuköllner Kunstpreis geht an Claudia von Funcke / Kreative finden kaum noch Ateliers.
Der erste Preis beim Neuköllner Kunstpreis geht in diesem Jahr an eine Künstlerin, die die Vielfalt und die Brüche der Hauptstadt abbildet. Wenn man sich die wachsende Nachfrage nach Gewerberäumen und die rasant steigenden Mieten vor Augen führt, ist nicht zu übersehen, dass auch durch den Kunststandort Neukölln ein großer Riss geht.
Vielseitiges Kunstleben
Zunächst aber erst einmal die gute Nachricht: Bei der Preisverleihung am vergangenen Wochenende wurde noch einmal deutlich, wie vielseitig die künstlerische Produktion gerade im Norden des Bezirks geworden ist. Also in einem Gebiet, wo trotz all der Hipster noch immer viele Kinder in sozial benachteiligten Familien und mit schlechten Bildungschancen groß werden. Der mit 3.500 Euro dotierte erste Preis ging an Claudia von Funcke. Sie war mit ihrer Videoinstallation „Relative Shift“ im Wettbewerb vertreten.
„Das ist eine sehr komplexe Reflexion über den Stadtbegriff“, begründet Jurymitglied Dorothee Bienert die Entscheidung. „In dieser interdisziplinären Arbeit treffen Skulptur, Video und Ton aufeinander, was einer völlig neuen Herangehensweise entspricht.“ Das eigentliche Thema sei der Stadtraum. Dieser werde mit Elementen, die an den Kubismus erinnern gebrochen, erläutert die Leiterin der kommunalen Galerien Neuköllns. Das Werk nehme in Details und Gesamtansichten ganz Berlin in den Fokus, unter anderem komme die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz darin vor. Die entsprechenden Bilder werden auf Wellblechelemente projiziert.
Die 1966 in Kiel geborene und seit 2004 im Norden des Bezirks beheimatete Künstlerin hat ihr Atelier in der Pflügerstraße. Ihr Repertoire umfasst Lichtinstallationen, Skulpturen und Fotografien. Der zweite Preis ging an Regina Weiss. Auf dem dritten Platz landete Doro Zinn. Sämtliche Wettbewerbsbeiträge sind derzeit in einer Ausstellung in der Galerie im Saalbau zu sehen.
Bedrohte Ateliers
„Die Qualität und Quantität der künstlerischen Produktion in Neukölln ist im internationalen Vergleich sehr hoch“, heißt es aus dem Bezirksamt. Diesem Reichtum und der künstlerischen Professionalität trage der vom Fachbereich Kultur in Kooperation mit dem Kulturnetzwerk Neukölln e.V. etablierte und nun zum zweiten Mal vergebene Preis Rechnung. Alle Künstler mit einem Atelierstandort in Neukölln waren aufgerufen, sich zu bewerben. Doch immer mehr Kreative haben Probleme, einen solchen im Bezirk zu finden oder bezahlen zu können. Die meisten der einst unter Künstlern so beliebten Ladenlokale rund um die Weserstraße beherbergen nach Jahren der Zwischennutzung längst (wieder) Gewerbebetriebe.
Martin Steffens vom Kulturnetzwerk Neukölln warnt: „Frei finanzierte Räume sind kaum noch aufrechtzuerhalten.“ Ein Atelierhaus in der Sonnenallee sei im vergangenen Jahr wegen einer neuen Nutzung verloren gegangen. „Wir brauchen mehr Staat“, sagt er. Derzeit gebe es vier Atelierhäuser des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler (bbk), die vom Senat gefördert werden. Die Standorte liegen in der Karl-Marx-Straße, der Schönstedtstraße, der Donaustraße und der Hobrechtstraße. Auch das Wohnungsunternehmen Stadt und Land habe angekündigt, neue Räume für Künstler zu schaffen.
Text: Nils Michaelis, Bild: Nihad Nino Pušij