Ein Brandbrief prangert die katastrophalen Zustände in den Jugendämtern an.
Das neue Bezirksamt und der neue Senat werden um die Lösung eines Problems nicht umhin kommen. In einem Brandbrief aus dem Jugendamt Steglitz-Zehlendorf hieß es jüngst: „Muss denn erst ein Kind zu Tode kommen, dass die Verantwortlichen aufwachen?“ Die vier Unterzeichner, darunter Personalrat Stephan Göldner, beschreiben katastrophale Zustände: Präventionsarbeiten und Familienberatungen könnten nicht mehr angeboten werden, Mitarbeiter seien seit Jahren überlastet, immer wieder müsse über Wochen geschlossen werden, um Rückstände abzuarbeiten. Dazu seien die Krankenstände gravierend. Und der Kinderschutz? Der beschränke sich nur noch auf die schlimmsten Fälle.
Situation im Bezirk
Jugendamtsdirektor Rainer Schwarz klagt auch bei den Regionalen Sozialdiensten des Jugendamtes Tempelhof-Schöneberg über eine dünne Personaldecke. „Von den vorhandenen Stellen war im Oktober jede fünfte unbesetzt“, sagt Schwarz. In manchen Teams sind demnach über 30 Prozent der Stellen länger als acht Wochen unbesetzt, sodass Aufgaben eingeschränkt werden müssen. „Der Kinderschutz jedoch wird sichergestellt“, beteuert Schwarz.
Zu wenig Bewerber
Für den Personalmangel sieht der Jugendamtsdirektor gleich mehrere Ursachen: Lange Kündigungsfristen bei alten Arbeitgebern, zeitaufwendige Feststellungsverfahren hinsichtlich der Erfahrungsstufen sowie die hohe Arbeitsbelastung. Grundsätzlich gäbe es schlicht zu wenig Bewerber, „diese hochkomplexe und verantwortungsvolle Tätigkeit scheint tariflich nicht attraktiv“, sagt Schwarz. Die Lösung scheint klar: mehr Geld, mehr Personal, mehr Entlastung für die Mitarbeiter. Doch gerade am Geld hapert es. Eine Sozialarbeiterin ohne Berufserfahrung bekommt am Anfang etwa 1.690 Euro brutto, das sind monatlich rund 150 Euro weniger als in Brandenburg. Dieses Problem sieht auch Jugendsenatorin Sandra Scheeres. Bei neuen Tarifgesprächen könne Berlin allerdings nicht allein agieren, ohne Gefahr zu laufen, aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausgeschlossen zu werden, sagt Senatssprecher Ilja Koschembar. Trotzdem setze sich Scheeres für eine bessere Bezahlung ein. Den Bezirken rät Koschembar, bereits bestehende tarifliche Möglichkeiten offensiver auszuschöpfen. In Abstimmung mit den Bezirken hatte der Senat 2015 und 2016 zusätzliche 172,8 Vollzeitstellen für Berlins Jugendämter bewilligt.
Daniel Seeger, Titelbild: Getty/Lisa5201; Bild: imago/sportsword