Ob Energiekrise oder Inflation: Jupp Kaiser, der Dorfschmied von Heiligensee, geht gelassen durch die Zeit.
Wer erleben möchte, wie man Stahl Leben einhaucht, sollte die Dorfschmiede in Heiligensee besuchen. Inhaber Jupp Kaiser nimmt eine Zaunspitze und hält sie in die Glut des 1.200 Grad Celsius heißen Schmiedeofens. Anschließend bearbeitet er sie mit einem Kehlhammer. Nun ziehen sich markante Furchen durch die Spitze.
Aus einem profanen Stück Stahl wird ein Schmuck mit individueller Note. Stahl mit einem Hauch von Kunst zum Leben bringen: Diese Leidenschaft lebt der 57-Jährige Tag für Tag mit viel Liebe zum Detail aus.
Drei Jahrhunderte Tradition
Drei Dorfschmieden gibt es noch in Berlin. Neben den Betrieben in Marienfelde und Karow hat sich auch Kaisers Schmiede gehalten. Diese hat wenig mit einer Schmiede von anno dazumal zu tun. Kaiser bearbeitet keine Pferdehufe. Vor allem fertigt er Gartenzäune, Tore, Fenstergitter, Treppengeländer oder auch mal ein Friedhofskreuz.
Im Grunde führt er eine kleine Metallbaufirma. Allerdings in der Tradition jener Schmiede, die 1720 am gleichen Standort im historischen Dorfkern gegründet wurde. Kaiser ist in dem Kiez aufgewachsen und nie weggegangen.
Seit 22 Jahren führt er die Schmiede als Meister und Betriebswirt. Die tiefe Verwurzelung in seinem Handwerk und im Quartier geben ihm Selbstvertrauen und Zuversicht. Die galoppierenden Energiepreise und der Fachkräftemangel setzen vielen Handwerksbetrieben zu. Kaiser begegnet derlei Herausforderungen pragmatisch.
Kohlepreis hat sich verdoppelt
„Heizung und Licht bleiben aus“, sagt er zum Thema Energie. „Das Feuer im Ofen genügt. Schmieden müssen wir sowieso. Wer sich bewegt, friert nicht.“ Doch auch der Schmiedeofen ist zum Kostenfaktor geworden. Schlug im vergangenen Jahr ein 50-Kilo-Sack Steinkohle beim Händler mit gut 20 Euro zu Buche, sind es aktuell 40 Euro.
Ein Kilo Rohstahl kostet aktuell 4,50 Euro, mehr als viermal so viel wie vor der Krise. Kaiser versucht, mit Vorräten über den Winter zu kommen oder günstigere Quellen für seine Rohstoffe zu nutzen.
Das Wort „Krise“ nimmt Kaiser übrigens gar nicht erst in den Mund: „Wir leben hier alle im Wohlstand.“ Noch kann er die aktuellen Kostensteigerungen an die Kunden weitergeben. Kaiser geht davon aus, dass die Nachfrage auch im Winter nicht nachlässt: „Irgendwas geht immer kaputt und wird dann von uns repariert.“
Treue Kundschaft
Der Schmied vertraut auf seine treue Kundschaft, die vor allem aus Eigenheimbesitzern und Hauswirten besteht. Diese würden auf seine passgenauen Lösungen vertrauen. Das Fazit des gelernten Kunst- und Bauschlossers sowie Kraftwerkstechnikers: „Das Handwerk stirbt nie. Handwerker werden immer gebraucht.“
Kaiser hat aber auch die Betriebe im Blick, die zu kämpfen haben. Politik und Handwerkskammer könnten besser über Hilfsprogramme informieren, findet er. Und begrüßt, dass der Senat unbürokratische Darlehen angekündigt hat.
Entscheidend sei, dass Firmen ihr Personal halten können: „Eingearbeitete Leute zu verlieren, ist der größte Verlust.“ Um die Kosten gering zu halten, setzt er schon seit längerer Zeit auf ein schmales Team aus einem Gesellen und einem Auszubildenden.
Nachfolge offen
Ihm fehlt es nicht an Fachkräften, sondern an einem Nachfolger. Ab und zu werkelt er mit seiner Enkeltochter in der Schmiede. In der Hoffnung, auch in ihr die Leidenschaft für Stahl und Feuer zu entfachen.
Text: Nils Michaelis