Ahornblatt beim Abriss

Ob Straßennamen, Denkmäler oder Gebäude – die Diskussion über den Umgang
mit der eigenen Vergangenheit kommt in Berlin endlich in Gang. Denn zu oft wurde
bislang einfach nur abgerissen, umbenannt oder demontiert.

Dieser Satz ließ aufhorchen! Nach dem baulichen Erbe der DDR gefragt, antwortete Berlins neue Stadtbaudirektorin Petra Kahlfeld in einem Interview mit der Berliner Zeitung: „Im Grunde bin ich immer erst mal die Anwältin der bestehenden Häuser, und zwar egal, aus welcher Epoche sie stammen.“

Die renommierte Architektin wurde vom neuen rot-grün-roten Senat als Nachfolgerin der Schweizerin Regula Lüscher bestimmt.

Politischer Abriss

Kahlfeld konkretisierte ihre Aussage am Beispiel des von Abrisswünschen bedrohten ehemaligen DDR-Fernsprechamtes in der Oranienburger Straße: „Dieses Haus steht, das Material ist verbaut, da ist jede Menge graue Energie gebunden. Erst wenn nichts mehr geht, sollten wir auch einen Abriss in Erwägung ziehen.“

Eine bemerkenswerte Ansicht, hat man doch in den Jahrzehnten zuvor ohne Rücksicht auf Verluste abgerissen, weil sich neue Eigentümer mit Neubauten mehr Profit versprachen.

Da war es egal, dass das eine oder andere „Opfer“ unter Denkmalschutz stand. Meist reichte der Verweis auf seine DDR-Vergangenheit, um es dem Abrissbagger zu übergeben.

Mutiger Entwurf

Traurigstes Beispiel für diese Art Kulturfrevel ist das Restaurant Ahornblatt auf der Fischerinsel, dessen Abriss im Jahr 2000 erfolgte. Das Gebäude bestand aus einem luftigen Baukörper, der von einem Betonschalendach in Form eines Ahornblattes überspannt wurde.

Ein Entwurf des Architekten Ulrich Müther, der unter anderem auch den „Teepott“ in Warnemünde oder das Zeiss-Großplanetarium in Prenzlauer Berg gezeichnet hatte.

Dass man versucht hat, mit Architektur auch unliebsame Geschichte zu entsorgen, dafür steht der Palast der Republik.

Beliebter Treffpunkt

Obwohl als Sitz der Volkskammer auch ein Symbol des SED-Regimes, war er mit seinen Cafés und Restaurants sowie seinen kulturellen und sportlichen Angeboten ein äußerst beliebter Treffpunkt nicht nur für Berliner.

Als seine Asbest-Sanierung beschlossen wurde, war klar, dass dieses Gebäude am Ende auch entsorgt wird. So geschehen dann ab 2006.

Der umstrittene Abriss des Lenindenkmals auf dem heutigen Platz der Vereinten Nationen gilt bis heute als abschreckendes Beispiel für eine Art Bilderstürmerei und Geschichtsvergessenheit, für die Berlin inzwischen traurige Berühmtheit erlangt hat.

Namen verschwinden

Dass heute Persönlichkeiten wie Richard Wagner oder Martin Luther auf Streich-Listen von sogenannten Historikern auftauchen, die diese Namen aus dem Stadtbild gestrichen sehen wollen, passt ins Bild: Man wählt den Abriss oder die Demontage und damit ja irgendwie auch das Vergessen.

Von den wenigsten Menschen vermisst wird der Büroklotz des DDR-Außenministeriums. 145 Meter lang, 22 Meter breit und 44 Meter hoch, sollte es die wahre Größe des kleinen Arbeiter- und Bauernstaates versinnbildlichen, verdeckte aber den Blick auf die Friedrichswerdersche Kirche und die beiden Domtürme auf dem Gendarmenmarkt.

Was aber bis heute schmerzt: Beim Abriss des Ungetüms entledigte man sich auch eines großen Wandbildes des Bildhauers Walter Womacka, der unter anderem auch den Fries rund ums Haus des Lehrers geschaffen hat.

Sanierte Platte

Wie man mit Hinterlassenschaften aus der Historie umgeht, bewies 2013 die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). Mit dem geplanten Abriss des DDR-Bau-Ministeriums war 2010 auch der Verbleib des Wandbildes „Der Mensch, das Maß aller Dinge“ gefährdet.

Die WBM bewahrte das Werk vor der Zerstörung und sanierte die Emaille-Platten. Seit 2013 grüßt der „Mensch“ von einem Wohnhaus in der Sperlingsgasse.


Was ist graue Energie?

Als graue Energie wird die Primärenergie bezeichnet, die notwendig ist, um ein Gebäude zu errichten. Graue Energie umfasst Energie zum Gewinnen von Materialien, zum Herstellen und Verarbeiten von Bauteilen, zum Transport von Menschen, Maschinen, Bauteilen und Materialien zur Baustelle, zum Einbau von Bauteilen im Gebäude sowie zur Entsorgung. Durch die Verwendung heimischer Materialien und durch ressourcenschonendes Bauen lässt sich die im Gebäude verbaute graue Energie minimieren. Quelle: www.baunetzwissen.de


Text: Ulf Teichert, Bild: imago images/Rolf Zöllner