Mit 15.000 Solarmodulen planen Berliner Stadtwerke und Messe Berlin gemeinsam das größte Solardach der Stadt. Im kommenden Jahr soll die erste Hälfte dieser Module ans Netz gehen. Im Interview beschreibt Stadtwerke-Chefin Kerstin Busch, wie sich in Berlin die Energiewende vorantreiben lässt.
Berliner Abendblatt: Wie fühlt sich das an, ein so großes Projekt in der Energiewende voranzubringen?
Kerstin Busch: Das ist wunderbar, wir sind alle sehr stolz, dass die Zusammenarbeit so gut funktioniert hat. Dieses Projekt ist nicht nur in seiner technischen Dimension außergewöhnlich, im Vorfeld haben zudem viele Partner, Senatsverwaltungen und die Denkmalschutzbehörde sehr eng zusammengearbeitet. Vor allem aber auch wegen der verschiedenen Kooperationen zwischen unterschiedlichen kommunalen Unternehmen, das ist nicht selbstverständlich. Die Kompromissfähigkeit auf allen Ebenen und der Wille etwas zu bewegen sind groß.
Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten bei einem solchen Projekt?
Die Risikominimierung für alle Beteiligten steht im Fokus, denn die Projekte müssen sich schließlich rentieren. Natürlich achten wir selbst schon streng darauf, haben aber nicht zuletzt bei den Berliner Wasserbetrieben, zu denen wir ja gehören, noch intensive Prüfer.
Wie lange planen Sie dieses Projekt auf den Messedächern schon?
Im April habe ich das erste Mal mit Senator Schwarz darüber gesprochen. Schon zu seinem Antrittsbesuch machte er uns auf eine mögliche Partnerschaft mit der Messe aufmerksam. Tatsächlich arbeiteten meine Kollegen und Kolleginnen bereits daran, denn wir schauen uns ja die Potenziale der gesamten Stadt an und damit auch die Messehallen. Mit einer Vorlaufzeit von acht Monaten ging das wirklich vergleichsweise schnell.
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Was sind die größten Hürden, die auf Sie zukommen?
Ein Problem könnte die Zulieferung von Kleinteilen werden. Mit den Modulen an sich bin ich zuversichtlich. Eine große technische Herausforderung ist auch die Anschlussleistung, die wir zusammen mit der Stromnetz Berlin ans Netz bringen wollen. Mit einer Anschlussleistung von 110 Kilovolt befinden wir uns im Hochspannungsnetz – das ist für eine PV-Aufdachanlage sehr außergewöhnlich. Die Herausforderungen sind da rein elektrotechnischer Natur.
Was passiert mit der Anlage bei unserem typischen grauen Berliner Winterwetter?
Natürlich können die PV-Anlagen auch Strom bei Streulicht produzieren, auch im Winter und teilweise, sogar wenn Schnee liegt. Das reicht natürlich dann nicht für den Eigenbedarf der Messe, aber dafür gibt es ja noch das reguläre Berliner Stromnetz. Im Herbst und Winter ist es ein Mix aus Eigenerzeugung und Netzbezug und im Sommer kommt der Strom dann zu rund 87 Prozent – also fast komplett – aus der neuen Photovoltaik-Anlage.
Welche Anlagen sind in Zukunft noch geplant?
Ich fange mal beim Wind an. Wir haben einen großen Windpark in der Nähe von Bernau, in Albertshof, den möchten wir verdichten. Zusätzlich zu unseren neun bestehenden Anlagen, der gesamte Park hat rund 60, kommen neue Standorte, die sich kürzlich ergeben haben, hinzu.
Gemeinsam mit einem anderen Partner wollen wir dort unter anderem rund 20 Jahre alte Anlagen repowern. Das heißt ganz einfach: Aus drei macht eins. Drei alte Anlagen werden zurückgebaut und es kommt eine große, die mehr produziert als die drei vorher.
Zusätzlich haben wir uns im Land Brandenburg auf Flächen der Berliner Stadtgüter potenzielle Standorte angeschaut. Es gibt jede Menge Möglichkeiten, zum Beispiel auch entlang von Autobahnen können wir uns vorstellen, Windanlagen zu bauen.
„Blick nach Brandenburg genügt nicht“
Das ruft doch sicherlich Kritiker auf den Plan?
Das ist ganz verschieden. Der Gegenwind kommt nicht immer nur von den Bürgerinnen und Bürgern, sondern manchmal auch von Institutionen. Übrigens gibt es auch in Berliner Nutzforsten Potenzial, über das man reden sollte. Als Berliner über die Energiewende sprechen und dann immer nur nach Brandenburg schauen, das geht nicht.
Was auch für die Akzeptanz hilft, sind sicher die inzwischen gesetzlich möglichen Hilfen für die Kommunen, zu denen die Standorte gehören. Die Infrastruktur vor Ort zu unterstützen könnte ein Schlüssel sein.
Und – so abstrus es klingen mag – auch der Energiemangel hilft. Jede neue Anlage wirkt dem entgegen. So kann eine Krise auch eine Chance beim Zubau der Erneuerbaren Energien sein.
Was ist mit Sonnenenergie noch geplant?
Wir haben in den vergangen fünf Jahren im Schnitt sechs Megawatt pro Jahr installiert. In den kommenden drei Jahren sollen das noch mehr werden. Mit den Berliner Bezirken haben wir das in Absichtserklärungen festgehalten. So können wir planen und uns auch um neue Mitarbeitende kümmern. Bis 2025 haben wir Absichtserklärungen – nicht nur mit den Bezirken – über rund 58 Megawatt vorliegen, welche wir auf die Dächer bringen möchten.
Was können die Berliner zur Energiewende beitragen?
Jede Kilowattstunde, die nicht verbraucht wird, ist eine, die man nicht produzieren muss. Insofern ist Sparen schon richtig wichtig. Auf unserer Webseite verlinken wir zur Berliner Energieeinsparinitiative. Theoretisch gibt es auch die Möglichkeit, für beinahe jedes größere Wohnhaus Mieterstrom umzusetzen. Gerade Flachdächer sind super geeignet. Und ansonsten sparen, sparen, sparen oder eine Photovoltaik-Anlage bauen.
Auch für Schulen ist das eine tolle Idee. Nicht nur energetisch, mit einer eigenen Solaranlage auf dem Dach kann das Thema Energiewende den Kindern auch ganz praktisch vermittelt werden. Wir planen auch spezifisches Unterrichtsmaterial für die Schulen, die schon PV-Anlagen haben.
„Sparen ist weiterhin total wichtig“
Haben Sie einen Tipp, um gut durch den Winter zu kommen?
Ja: Heizlüfter aus! Mit Strom heizen, um Brennstoff-Kosten zu sparen, lohnt nicht und ist gefährlich für das Netz. Denn wenn alle mit den 2.000 KW-Lüftern gleichzeitig ans Netz gehen, dann ist die Wahrscheinlichkeit für einen Stromengpass wesentlich größer. Sparen ist weiterhin total wichtig, der nächste Winter wird uns extrem herausfordern. Bis dahin müssen wir noch mehr Erzeugungsanlagen gebaut haben.
Zur Person
Kerstin Busch ist seit Oktober 2018 Geschäftsführerin der Berliner Stadtwerke und seit April 2019 die Sprecherin der Gesellschaft und verantwortlich für die Geschäftsfelder Technik und Vertrieb. Sie ist gelernte Ingenieurin für Verfahrenstechnik und studierte an der TU Berlin unter anderem Umwelttechnik. In ihrer Aufgabe vereint sie drei Dimensionen: Politik, Wirtschaft und Technik.
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Das Interview führte Helen Arnold