
SOZIALES Der Anteil von Kindern und Jugendlichen an der Obdachlosigkeit ist besorgniserregend angestiegen – zum Glück gibt es Organisationen wie Straßenkinder e.V.
Mindestens 6.500 Kinder und Jugendliche leben laut Eckhard Baumann, dem Vorsitzenden von Straßenkinder e.V., in Deutschland auf der Straße. Der „Tagesspiegel“ berichtete im März 2024 von über 4.000 wohnungs- und obdachlosen Kindern und Jugendlichen, die 2023 in Berliner Notunterkünften versorgt wurden. Eckhard Baumanns Verein ist der größte seiner Art in Berlin, der sich ausschließlich auf die Hilfe für junge obdachlose Menschen spezialisiert hat. Straßenkinder e.V. betreut jährlich ungefähr 500 Personen zwischen 16 und 22 Jahren, die Grenze liegt bei 26 Jahren.
In letzter Zeit wurde innerhalb der Medien vermehrt von einer alarmierenden Entwicklung gesprochen: Neben dem „Tagesspiegel“, der von einer „drastischen Zunahme der Jugendobdachlosigkeit“ in Berlin sprach, bezeichnete das Fachportal „Kindheit-heute“ minderjährige Personen als die am stärksten von Wohnungs- und Obdachlosigkeit gefährdete Altersgruppe.
Straßenkinder e.V. füllt eine Lücke
Für Isabell Baumann, Pressesprecherin bei Straßenkinder e.V., ist das keine neue Entwicklung: „Ich sage immer, die Not ist gleichbleibend hoch.“ Nur Corona erwähnt sie als einen verschärfenden Faktor der vergangenen Jahre: Die Ursachen für ein Leben auf der Straße entspringen bei jungen Menschen häufig einem dysfunktionalen Zuhause. Die Probleme reichen dabei von Gewalt über psychische Beeinträchtigung der Eltern bis hin zu allgemeiner Vernachlässigung. Straßenkinder e.V. bietet neben der Versorgung von Grundbedürfnissen ein großflächiges Netz an Betreuung und Beratung an. „Wir sehen uns vor allem als Wegbegleiter, die nichts erwarten und trotzdem noch dritte, vierte und fünfte Chancen geben“, sagt Isabell Baumann.
Was der Verein aber vor allem tut, ist eine Lücke zu füllen, denn: „die Jugendhilfe greift nur bis zum 18. und in Einzelfällen bis zum 21. Lebensjahr. Das bedeutet, dass dann plötzliche viele Hilfen wegfallen und die Jugendlichen auf sich allein gestellt sind. In dieser heiklen Übergangsphase landen viele von ihnen zum ersten Mal oder wieder auf der Straße“, erzählt Baumann.
Um diesen Leerraum noch besser füllen zu können, baut Straßenkinder e.V. aktuell sogar ein Haus, das „Kinderhaus Butze“ in Lichtenberg. Bundesweit gebe es kein vergleichbares Projekt. Die „Butze“ umfasst sieben Stockwerke und 41 Betten in drei unterschiedlichen Wohnformen – die allesamt ausschließlich Einzelzimmer beinhalten; fertig wird der Bau im Frühjahr`26. Reguläre Notunterkünfte haben in der Regel Mehrbettzimmer, was für viele junge Obdachlose ein Ausschlusskriterium ist. „Sie fühlen sich eingesperrt in einem Raum mit einem fremden Menschen und befürchten, beklaut zu werden“, sagt Baumann. Sie spricht von einem Sicherheitsbedürfnis, das oft als allererstes gestillt werden muss. Erst dann lasse sich Vertrauen aufbauen und mit der eigentlichen Hilfsarbeit beginnen.
Und genau da kommt die Butze ins Spiel. Neben den neuen Schlaf- und Wohnmöglichkeiten, Beratungsräumen und Berufsfindungsmaßnahmen wird es dort einen Theaterraum, einen Sportraum, eine Töpferei und eine Holzwerkstatt geben.
Nochmal ein Blick zurück: Von den eingangs erwähnten über 4.000 jungen obdachlosen Menschen im Jahr 2023 hat Straßenkinder e.V. 489 unterstützen können. Und mit der Butze bald noch mehr.
Text: Marie Ladstätter