Erst wenn die Bürger aktiv werden sollten, kann das Bundesverfassungsgericht in Sachen Bundestags-Neuwahlen in Berlin beraten.
Das könnte noch das Wort des Jahres werden: Mandatsrelevanz. Denn nur dann, wenn das Bundesverfassungsgericht davon überzeugt ist, dass sich Fehler bei einer Bundestagswahl auf die Sitzverteilung im Bundestag ausgewirkt haben könnten, also mandatsrelevant sind, würde es eine Wahl für ungültig erklären.
Doch erst einmal sollte sich die Aufmerksamkeit aller Berliner Wahlberechtigten auf das Urteil der Berliner Verfassungsrichter richten.
Neue Wahlen
Außerordentlich wegweisend wird sein, was das Landesverfassungsgericht am 16. November verkündet.
Wenn es nämlich bei seiner Feststellung von vor knapp 14 Tagen bleibt, dass es aufgrund zahlreicher Wahlfehler eine vollständige Wiederholung der Wahl zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen für erforderlich hält, dann werden die wahlberechtigten Berliner allerspätestens am 5. oder 12. Februar kommenden Jahres erneut zu den Wahlurnen gerufen.
Nur Zweitstimmen
Und was ist mit der Wahl zum Bundestag, die ja unter den gleichen chaotischen Umständen ablief? Da will es die Gesetzeslage, dass sich erst einmal der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages damit befasst.
Dieser legt den Abgeordneten einen Beschluss zur Abstimmung vor. Wenn es nach der Ausschussvorsitzenden Daniela Ludwig (CSU) ginge, müsste auch die Bundestagswahl in Berlin komplett wiederholt werden.
Doch wie im Parlament haben auch im Ausschuss die Ampel-Parteien die Mehrheit. Deren aktueller Vorschlag lautet, dass die Pannenwahl nur in 300 von 2.300 Wahllokalen wiederholt wird.
Außerdem sollen nur Zweitstimmen neu abgegeben werden, eine erneute Abgabe der Erststimme solle nicht stattfinden.
Mandate verlieren
Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung haben sich vor allem FDP und Grüne gegen eine umfangreichere Neuwahl gesperrt. Sind es doch laut Recherchen des „Business Insiders“ vor allem Politiker dieser Parteien, die ihr Mandat nach einer Neuwahl verlieren könnten.
Nach einer Anhörung im Mai hatte Bundeswahlleiter Georg Thiel Wiederholungswahlen in sechs der zwölf Berliner Wahlbezirke angemahnt. „Der Bundeswahlleiter fordert eine Wahlwiederholung in 1.200 Wahllokalen. Jetzt auf 300 runterzugehen, ist Akrobatik“, erklärte dazu Daniela Ludwig im rbb.
Vors Gericht
Noch im Oktober soll der Bundestag über den Beschluss des Wahlprüfungsausschusses abstimmen. Bis dahin können die Richter am Bundesverfassungsgericht gar nicht aktiv werden.
Da aber jede „natürliche oder juristische Person“ das Recht hat, sich mit einer Verfassungsbeschwerde an sie zu wenden, müssen sich die Karlsruher Verfassungsrichter spätestens dann damit beschäftigen, wenn Bürger gegen den Bundestagsbeschluss klagen.
Dass sie sich dann das Urteil ihrer Berliner Kollegen sehr genau anschauen werden, dürfte klar sein.
Text: Ulf Teichert