Mario Rhode, Landesvorsitzender der Freien Wähler Berlin, über Hubert Aiwanger, die bürgerliche Mitte und einen Zehnpunkte-Plan für Berlin.
Herr Rhode, es drängen zurzeit immer neue Parteien auf die politische Bühne in Berlin, nun auch die Freien Wähler, die man eher Bayern zuordnet und ihrem Bundesvorsitzenden Hubert Aiwanger. Wo waren Sie bisher und wo stehen Sie und die Freien Wähler Berlin?
Uns gibt es in Berlin seit 2019. Die Freien Wähler als Bierzeltbewegung Bayern zuzuordnen, greift deutlich zu kurz. Unser Bundesvorsitzender Hubert Aiwanger hat bayerische Wurzeln, aber die Freien Wähler sind deutschlandweit aktiv. In Bayern haben die Bürger eben nur frühzeitiger erkannt, dass sie hier ihre Interessen durch uns bestens vertreten sehen. Deshalb freut es uns, an der bayerischen Regierung mitwirken zu können. Aber wir alle stehen für und bei den Menschen in der Mitte der Gesellschaft. Dort wo weder grüne, rote, gelbe blaue oder schwarze Partei-Ideologien eine Rolle spielen, sondern wo der gesunde Menschenverstand zuhause ist. Genau dies drücken Aiwanger und ich auch immer wieder sehr klar und deutlich aus.
Anders als Sie behaupten, werden Sie doch aber eher rechts von der politischen Mitte verortet?
Sie sprechen von einer politischen Mitte. Die jedoch wird heute leider von den linken Politikern und Medien definiert. Dieses Framing scheint ein geschickter Schachzug zu sein, um alle, die rechts von dieser linken politischen Mitte stehen, zu diffamieren. Die Bürger sind aber nicht so nach links gerückt, wie diese Leute es sich wünschen. Die Gesellschaft hat eine gesunde Mitte, wie die letzte Abgeordnetenhauswahl in Berlin gezeigt hat. Diese bürgerliche Mitte meinen wir und das belegt auch unser Parteiprogramm.
Jetzt also auch die Freien Wähler Berlin: Nach dem jüngsten Bundesparteitag bauen Sie wie so viele andere Parteien an der Brandmauer zur AfD. Sind Sie jetzt die etablierte Partei einstudierter Rituale, die Sie doch nie sein wollten?
Wir sind die demokratische Alternative zur AfD. Konservativ, aber mit zukunftsorientierten Positionen und ohne Nazis. Der Bundesparteitag hat sich gegen jegliche Zusammenarbeit mit der AfD ausgesprochen. Das ist auch richtig so, denn mit Nazis wollen wir nichts zu tun haben. Mit Blick auf die Wahlen 2024 und spätestens 2025 im Bund machen wir damit deutlich, dass wir die demokratische Antwort auf die AfD sind. Wir machen den Menschen in Berlin ein seriöses, konservatives Angebot, auch denen, welche die Politik der Ampel-Parteien und der wieder grün-kuschelnden Nach-Merkel-CDU nicht mehr akzeptieren, die aber deswegen nicht Rechtsaußen wählen wollen. Die Freien Wähler Berlin sind eine noch junge, aber selbstbewusste Kraft, die für eine entritualisierte Politik des gesunden Menschenverstandes steht. Wir sind die „Allianz der Vernünftigen“. Dass so viele Menschen die AfD wählen, ist doch das Ergebnis einer verfehlten, ideologisch einseitigen, linken Politik. Die Menschen sind doch nicht alle Nazis, sie brauchen deshalb eine andere Partei, die nicht ein Teil des Problems, sondern der Lösung ist. Wir sind die bürgerliche Alternative ohne Nazis.
Sind Sie sicher, dass das Hubert Aiwanger genauso sieht? Immerhin hat er den Beschluss der Abgrenzung mit den von ihm bekannt markigen Worten herbeigeführt.
Ja, unbedingt, denn die Zusammenarbeit zwischen Hubert Aiwanger und mir, ist nicht nur sehr gut, ich darf unser Miteinander als freundschaftlich bezeichnen. Und auch in dieser Frage passt kein Blatt Papier zwischen uns. Wir aber sind die Freien Wähler Berlin, eigenständig und unkonventionell, so wie unsere Stadt, in der wir leben und für deren Menschen wir jeden Tag Politik machen.
Hubert Aiwanger spricht von dem ganz normalen Volk. Wer ist in Berlin das ganz normale Volk? Wen wollen die Freien Wähler Berlin ansprechen?
Als Freie Wähler unterscheiden wir in Berlin nicht zwischen normal und – ja, was denn eigentlich: Nicht normal? Anormal? Wider die Norm? Wir sprechen alle jene Menschen an, die sich mit den ideologisch gefärbten Zuständen in dieser Stadt nicht abfinden wollen. Wir werben um die Menschen, die in einer friedlichen, funktionierenden Stadt auskömmlich arbeiten und gut wohnen wollen, die ihre Kinder auf Schulen schicken wollen, in denen ordentlich gelernt werden kann und die von einer Verwaltung bürgernahen Service erwarten. Wir sind die natürlichen Partner der Berlinerinnen und Berliner, welche von der Polizei die Durchsetzung der für ein geordnetes Miteinander notwendigen Regeln verlangen, und schließlich machen wir Politik für die, die zum Beispiel nicht länger von ideologischer Verkehrspolitik tyrannisiert werden wollen, sondern für ein faires Nebeneinander aller Verkehrsteilnehmer eintreten. Es muss Schluss damit sein, dass unser Weltmetropole Berlin auf ideologischem Provinzliga-Niveau regiert wird.
Das hört sich alles gut an, wie auch Ihre zehn Punkte auf Ihrer Webseite. Alleine es fehlt der Glaube, dass Sie es umsetzen können. Es fällt auf, dass den schönen Obersätzen nur selten konkrete Vorschläge der Umsetzung folgen.
Mit den zehn Punkten wollen wir den Menschen einen ersten Eindruck der Schwerpunkte unserer Arbeit in und für Berlin vermitteln. Wir wollen Interesse wecken und zum Austausch animieren. Wir wollen dabei auch sehr bewusst nicht die Fehler der anderen Parteien machen, die vorgeben, alles und zudem noch viel besser zu wissen, regelmäßig aber an der Realität scheitern. Gebrochene Wahlversprechen, Frust und Protestwahl sind bisher die Folgen gewesen. Die CDU unter Kai Wegner habe ich stellvertretend für diese Spezies unseriöser Politiker schon erwähnt. Machterhalt und Eitelkeit haben bei uns keinen Platz. Als Freie Wähler bieten wir Lösungen an, die wir mit unseren Mitgliedern erarbeiten, dabei externe Fachleute einbinden und Interessierte auch ohne Parteibuch einladen, sich für ihr Berlin einzubringen.
Was heißt das konkret? Zum Beispiel Innere Sicherheit: Sie fordern mehr Polizisten, bessere Ausstattung für Polizei und Justiz, einen entschiedeneren Kampf gegen Clankriminalität und das organisierte Verbrechen. Wie wollen Sie das umsetzen? Wer soll das bezahlen?
Wir haben doch kein Einnahmeproblem. Der Staat nimmt immer mehr Geld ein. Die Frage muss also lauten: Wofür wird das Geld ausgegeben? Wir setzen klare Prioritäten und dazu gehört unter anderem die innere Sicherheit. Nur eine sichere Stadt ist eine lebenswerte Stadt. Was nutzen die schönsten Plätze, die besten Schulen, die schnellsten U-Bahnen, die herrlichsten Theater und Museen, wenn die Menschen Angst haben, sich in der Stadt zu bewegen. Keine Freiheit ohne Sicherheit. Keine Sicherheit ohne Freiheit. Und die, die kriminell werden, müssen wissen, dass es sich nicht lohnt, weil die Polizei wirkungsvoll ermittelt und die Justiz schnell und klar urteilt.
„Versprechungen machen viele Parteien, das ist nicht der Stil der Freien Wähler.“
Mario Rhode
Als dringende Probleme gelten in Berlin neben der Sicherheit, der Verkehrspolitik auch Bildung, Kultur und Wohnen? Was ist Ihre Lösung für das Thema Wohnen und bezahlbare Mieten?
Versprechungen machen viele Parteien, eigentlich alle. Das ist nicht mein Stil und nicht der Stil der Freien Wähler. Klar ist, dass keine Regierung in eigener Regie und als Bauherr die Masse an Wohnungen bauen kann, die in Deutschland benötigt werden. Kluge Politik baut, indem sie sich darauf konzentriert, die Rahmenbedingungen so attraktiv zu gestalten, dass institutionelles und privates Kapital mobilisiert wird und so Bauen wieder Freude macht, weil es deutlich schneller geht und ökonomisch sinnvoll ist. Dazu bedarf es eines Maßnahmenpakets, das Bund und Länder gemeinsam entwickeln müssen. Das verlangt den Verzicht auf parteitaktische Spielereien und das Schielen auf Umfragen. Die Menschen wählen diejenigen, die Lösungen organisieren. Nicht jene, welche tricksen und letztlich nur heiße Luft produzieren.
Sie sprechen sich gegen eine Reform der Schuldenbremse aus und fordern einen konsequenten Sparkurs statt Neuverschuldung. Der Regierende Bürgermeister dagegen plädiert für eine Reform der Schuldenbremse. Stehen die Freien Wähler also einer guten Zukunft Berlins im Weg?
Kai Wegner führt einen Profilierungskrieg mit Friedrich Merz. Er kann ihm nicht verzeihen, dass Merz eigentlich Spahn statt Wegner wollte. Und mit saloppen Formulierungen aus dem Sprechbaukasten seiner Berater löst der Regierende kein einziges Problem. Das Problem der Schuldenbremse ist doch nicht, dass sie der Zukunft im Weg steht. Das Problem ist, dass die, denen der Mumm fehlt, Prioritäten im Haushalt zu setzen, die Schuldenbremse aushebeln wollen, damit sie ihre Politik auf Pump fortsetzen können. Das machen wir nicht mit! Wir denken an die Bürger und nachfolgenden Generationen, die dies alles jetzt oder später bezahlen müssen.
Apropos Generationen: Berlin hat das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt. Hilft oder schadet das den Freien Wählern?
Zuweilen habe ich den Eindruck, dass die Fähigkeit, verantwortlich zu wählen, nicht vom Alter abhängt. Wie sonst sind die Zustimmungswerte für Linke und Grüne, aber auch AfD (nicht nur) in Berlin zu erklären? Im Übrigen ist es nicht die mich leitende Kategorie, ob wir oder andere Parteien davon profitieren. Wir haben auch vorher schon Politik für junge Menschen gemacht. Wichtig ist mir, dass wir gerade auch den Erstwählern ein Angebot machen, das sie gegen die Nicht-Demokraten links und rechts außen immunisiert. Nicht ohne Grund führen wir als Freie Wähler Berlin den Zusatz: Die demokratische Alternative!
Sie spielen auf die Alternative für Deutschland an, von der Sie sich abgrenzen wollen. Im Gegensatz zur AfD, die im Bund stabil um die 20 Prozent steht, landen die Freien Wähler bei rund 3 Prozent. Wie wahrscheinlich ist der Einzug in den Bundestag?
Dass ich zuversichtlich bin, ist kein Zweckoptimismus, sondern Ergebnis der positiven Stimmung gegenüber den Freien Wählern, die ich als Landesvorsitzender wahrnehme, wenn ich etwa mit den Menschen in meinem beruflichen Umfeld spreche. Als vor allem in Schöneberg seit Jahrzehnten verwurzelter Gastronom bekomme ich die ungefilterte Meinung in der Bevölkerung hautnah mit. Bei uns wird noch Klartext gesprochen, und so weiß ich, dass wir den Nerv der Zeit treffen. Natürlich wird Bayern als Stammland der Freien Wähler und erfolgreiche Regierungspartei den Löwenanteil zu einem Ergebnis jenseits der 5 Prozent beisteuern, aber in vielen weiteren Bundesländern mit starken Freien Wählern, wie etwa in Brandenburg und auch hier Berlin, leisten wir unseren Beitrag zu dem Einzug in den Bundestag.
Die Zeit der Volksparteien geht dem Ende zu. Die Bindungswirkungen der Parteien lässt nach. Einzig die AfD legte zuletzt zu, scheint aber ihren Zenit erreicht zu haben. Mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht ist eine neue Kraft auf der politischen Bühne erschienen, der auch Wahlerfolge zugetraut werden. Was bedeutet das für die Freien Wähler?
Wir orientieren uns nur insoweit an unseren Wettbewerbern, dass wir ihre Fehler vermeiden. Den Menschen präsentieren wir uns als kompetente Ansprechpartner und überzeugen mit lösungsorientierter Politik, denn unser Blick auf die Probleme der Menschen ist eben nicht ideologisch getrübt.
Teilen Sie die Überlegungen Aiwangers zur Koalition der Freien Wähler mit Union und FDP?
Als Vorsitzender einer derzeit noch kleineren Partei konzentriere ich unsere Kräfte in Berlin darauf, weiter kontinuierlich zu wachsen und unseren Einfluss vor Ort in den Bezirken zu stärken. Koalitionsüberlegungen stehen deshalb derzeit nicht an; das gilt für die Bundesebene genauso wie auch für die nächsten Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Herbst 2026.
Interview: Harald Wahls | Bilder: foto ©gezett
Über Mario Rhode
Mario Rhode, geb. 1958 in Schöneberg, Ausbildung als Steuerfachgehilfe. Er hat einige Jahre im Familienunternehmen gearbeitet, verantwortlich für den Aufbau von Tankstellen, seit 25 Jahren Gastronom in Berlin.