Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im Amtszimmer des Roten Rathauses. Foto: Makar Artemev
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) im Amtszimmer des Roten Rathauses. Foto: Makar Artemev

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner erklärt in unserem Interview, wie er die Verwaltung digitalisieren, für mehr Neubau sorgen und die Stadt zu Silvester sicher machen will.

„Hauptstadt der Probleme“ wird Berlin seit Jahren genannt. Eine ganze Reihe davon hat Kai Wegner im April dieses Jahres bei seinem Amtsantritt als neuer Regierender Bürgermeister geerbt. Einige sind für den CDU-Politiker seitdem auch neu hinzugekommen.

Unser Redakteur traf Wegner in dessen Amtszimmer im Roten Rathaus, um mit ihm über die vielen Herausforderungen der Hauptstadt zu sprechen – und wie Wegner und der Berliner Senat diese angehen und lösen möchten.


Herr Wegner, Krieg in Europa, steigende Migration, zunehmender Wohnraum- und Fachkräftemangel, hartnäckige Klimakleber und vieles mehr. Hätten Sie gedacht, dass Ihnen im ersten halben Jahr im neuen Amt schon so viele Herausforderungen begegnen würden?

Wegner: Dass die Herausforderungen groß sind, das war mir klar. In vielen Bereichen wurde über die Jahre zuvor einfach viel zu wenig getan. Dass der anhaltende Krieg in Europa und der Konflikt in Nahost noch hinzukommt, das hätte ich mir wahrlich anders gewünscht. Entscheidend ist aber, wie man jetzt mit dieser Situation umgeht und dass man die besten Entscheidungen für Berlin trifft.

Sie betonen immer wieder, dass Sie Berlin zusammenführen wollen. Doch egal ob Verkehr, Wohnen oder Migration, die Spaltung scheint eher zu- als abzunehmen. Ist Berlin zu groß für ein echtes Miteinander?

Wegner: Genau deshalb ist das Zusammenführen ja so wichtig und so notwendig. Ein Miteinander muss möglich sein und ich glaube auch daran. Gerade beim Verkehr wurde in den letzten Jahren unter grüner Verantwortung die Stadt massiv gespalten. Mein Anspruch ist es, alle in den Blick zu nehmen: Fußgänger, Nutzer des öffentlichen Personennahverkehrs, Fahrradfahrer – aber eben auch die Autofahrer.

Sie alle brauchen ihren berechtigten Raum in der Stadt. Nur mit dem Blick auf alle wird die Verkehrswende gelingen. Wir heben nicht den Zeigefinger, sondern schaffen Möglichkeiten, damit Menschen sicherer und besser von A nach B kommen. Doch das alles geht nicht von heute auf morgen.

Berlin ist im Digitalisierungs-Ranking („Smart City Index“) des Digitalverbands Bitkom erneut abgerutscht. Denken Sie, wir werden das „digitale Bürgeramt“ unter Ihnen als Berliner Bürgermeister noch erleben?

Wegner: Da gibt es ganz unterschiedliche Studien. Erst vor kurzem habe ich eine gesehen, in der Berlin bei der Digitalisierung selbst im internationalen Vergleich ziemlich weit vorne steht. Aber ohne Frage, Digitalisierung ist eine riesige Herausforderung. Wir diskutieren seit Jahren darüber, ohne wirklich voranzukommen. Die Ideen sind alle da, wir müssen sie nur mal zur Anwendung bringen Genau das muss jetzt geschehen, damit Berlin besser funktioniert. Eine effiziente und digitale Verwaltung ist Voraussetzung für ein funktionierendes Berlin. Deshalb habe ich Digitalisierung auch zur Chefsache gemacht.

So wie die E-Akte, die sich im Praxistest eher als Reinfall entpuppte. Der Bezirk Mitte verbot die Nutzung sogar. Muss man eventuell wieder ganz von vorne anfangen?

Wegner: Wir versuchen alles, um die E-Akte zum Laufen zu bringen. Das ist im jetzigen Stadium und nach dem, was uns der Vorgängersenat hinterlassen hat, keine Selbstverständlichkeit. Doch ich war überrascht, als ich aus dem grün geführten Bezirk Mitte hörte, dass sie aussteigen wollen. Die Grünen haben dieses ganze Problem ja mitverursacht. Wir arbeiten gerade daran, das jetzt zu reparieren.

Die E-Akte im jetzigen Zustand auf die ganze Stadt auszurollen wäre verantwortungslos, weil sie derzeit nicht so funktioniert wie ursprünglich geplant. Mehrere vereinbarte Produkte sind nicht fertig, und dennoch ist unter dem Vorgängersenat bereits eine Menge Geld geflossen. Deshalb sind wir jetzt in harten Gesprächen mit dem Dienstleister. Ich will mehr Dienstleistungen für die Bürger und Unternehmen endlich online bringen. Und das werden wir hinkriegen, da bin ich mir für diese Legislaturperiode sicher. Das gilt auch für die Bürgerämter.

Wie wollen Sie das erreichen?

Wegner: Das große Problem ist, dass trotz vieler guter Ideen am Ende jeder Seins macht. Wir haben nur wenig abgestimmte Prozesse und abgestimmte Strukturen vorgefunden. So konnte die Digitalisierung auch nicht funktionieren. Wir wollen, dass alle Senatsverwaltungen mit den gleichen Prozessen und Strukturen arbeiten. Ebenso dann die Bezirke.

In Kreuzberg gibt es seit August das Bürgeramt der Zukunft. Gibt es schon ein Resümee, was dort funktioniert und bald auch anderswo Einzug hält?

Wegner: Dafür ist es noch zu früh, die Auswertungen laufen noch. Damit die Bürgerinnen und Bürger schneller zu Terminen kommen, haben wir unter anderem auch dafür gesorgt, dass das Bürgeramt in der Klosterstraße bestehen bleibt. Und es werden vier zusätzliche Bürgerämter ans Netz gehen. Wir werden auch mehr Personal zur Verfügung stellen. All das wird ja schon zu Entlastungen an den bestehenden Standorten führen. Wenn wir dann noch Dienstleistungen auch digital anbieten, werden wir auch das 14-Tage-Ziel schnell erreichen.

Noch besser wäre es, vieles einfach direkt online zu erledigen.

Wegner: Absolut. Gewisse Dinge werden einfach und direkt im Netz möglich sein. Das geht ja woanders auch, warum sollte es nicht auch in Berlin gehen? Das funktioniert nicht von heute auf morgen, aber wir arbeiten hart daran.

Der Wohnungsmarkt in Berlin ist für viele Suchende ein Albtraum. Die Devise lautet: bauen, bauen, bauen. Doch seit Jahren werden immer weniger Neubauten genehmigt. Wie passt das zusammen?

Wegner: In den letzten Jahren wurden viel zu wenig Wohnungen gebaut, kaum jemand findet noch eine. Die Instrumente der Vergangenheit haben einfach nicht dafür gesorgt, dass mehr Neubauten entstanden sind. Das gleiche gilt übrigens für Vergesellschaftung und Enteignung, das kostet wahnsinnig viel Geld, aber es entsteht keine einzige neue Wohnung. Wir liegen jetzt bei 3,8 Millionen Einwohner und Berlin wächst weiter. Deshalb machen wir alles möglich, damit schneller gebaut werden kann.

Wir haben die Landesbauordnung vereinfacht, damit schneller gebaut werden kann. Wir haben zudem einen Eckpunkte-Beschluss, wie das Schneller-Bauen-Gesetz aussehen soll, auch das werden wir zügig vorantreiben. Jetzt sind wir aber auch in der deutschlandweiten Situation, dass viele Bauunternehmen nicht mehr weiter bauen können. Deshalb ist es wichtig, Förderinstrumente auf den Weg zu bringen. Aber hier muss auch der Bund liefern.

Dass der Bundeswirtschaftsminister (Robert Habeck, Anm. d. Red.) die KfW-Förderung für energieeffiziente Gebäude auf null setzt, das hat deutschlandweit zu großem Schaden im Bereich Wohnungsbau geführt. Hier erwarte ich von der Bundesregierung, dass sie den Neubau wieder stärker fördert.

Denken Sie, dass das Neubauziel von 20.000 Wohnungen pro Jahr 2023 erreicht werden kann?

Wegner: Das ist unter den jetzigen Bedingungen eine echte Herausforderung, weil die Baukosten gestiegen sind und Kredite auch für die Unternehmen immer teurer werden. Aber wir werden trotzdem alles daran setzen, auf diese Zahl zu kommen. Zumindest nah heranzukommen. Weil wir einfach den Bedarf haben. Ich kann ja nicht den Kopf in den Sand stecken und sagen: Ok, es fehlen zwar Wohnungen, aber ich kann nicht bauen. Sondern die Menschen in dieser Stadt verdienen ein bezahlbares Dach über dem Kopf. Da gehen wir ran und wollen den Neubau vorantreiben. Und die Zahlen von Ende 2023 sind ja auch noch die Zahlen der Vorgängerregierung, das muss man fairerweise auch sagen.

Im August verließ Adler Group das Berliner Wohnungsbündnis, um Mieten stärker zu erhöhen. Ist Selbstverpflichtung als Mittel im Kampf gegen steigende Mieten gescheitert?

Wegner: Der Ausstieg von Adler ist natürlich bedauerlich. Und dennoch gibt es genug private Unternehmen, die sich auch an die Verabredungen halten. Wir müssen sie auch in diesem Bündnis halten. Wir haben sechs richtig gute städtische Wohnungsbaugesellschaften und die stärken wir jetzt weiter. Aber wir brauchen auch die Privaten als Partner genauso wir auch die Genossenschaften brauchen – weil wir bezahlbaren Wohnraum für alle brauchen.

„Mein Ziel ist, dass auch Normalverdiener eine geförderte Wohnung bekommen können.“

Kai Wegner

Und damit meine ich ausdrücklich auch die Menschen, die morgens aufstehen, arbeiten gehen, Steuern zahlen, die ein ganz normales Einkommen haben. Sie haben kaum noch eine Chance in Berlin eine passende Wohnung zu finden. Das wollen wir ändern, zum Beispiel über eine neue Förderung im Bereich des Wohnberechtigungsscheins. Mein Ziel ist, dass auch Normalverdiener eine geförderte Wohnung bekommen können.

Auch in Sachen Wohnungstausch sieht Bausenator Christian Gaebler (SPD) noch Luft nach oben. Was wurde bisher erreicht und wie viel Luft ist da tatsächlich noch?

Wegner: Da ist noch ganz viel Luft. Wir haben immer noch eine Situation, in der viele ältere Menschen, bei denen die Kinder schon längst ausgezogen oder der Partner verstorben ist, in großen Wohnungen leben, obwohl sie diese nicht mehr brauchen. Sie finden aber keine kleinere oder können sich diese nicht leisten. Umgekehrt ist es so, dass viele Familien in sehr kleinen Wohnungen leben, weil sie keine größere, bezahlbare Wohnung finden. Hier zu einem Wohnungstausch zu kommen, der sich für alle auch wirklich rechnet und niemanden benachteiligt, das ist mein Ziel.

Es gibt die sogenannten Wohnungstauschbörsen, auch gerade bei den städtischen Gesellschaften, offenkundig wird das Angebot zu wenig genutzt. Wir müssen das ändern und noch mehr Möglichkeiten schaffen, wie sich das für alle rechnet. In Berlin gibt es kaum noch Leerstand. Ein gesunder Wohnungsmarkt hat einen Leerstand von 3 bis 5 %, da sind wir so weit weg von, wir sind mittlerweile unter 1 %. Diese eine Zahl umschreibt das ganze Problem am Berliner Wohnungsmarkt.

Das 29-Euro-Ticket soll in Berlin wieder eingeführt werden. Doch aus der Opposition heißt es, dass dieses den „revolutionären“ Ansatz des Deutschland-Tickets konterkariere. Wieso der Fokus auf das 29-Euro-Ticket statt eine langfristige Finanzierung des Deutschland-Tickets?

Wegner: Das Deutschland-Ticket war ja die Idee der Bundesregierung. Ich hoffe auch, dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst ist, das Deutschland-Ticket nicht einfach wieder abzuschaffen, sondern gemeinsam mit den Ländern eine Finanzierung abzusichern. Alle Bundesländer haben sich darauf verständigt, weiter in die Mitfinanzierung zu gehen – aber der Bund steht auch in der Verantwortung und kann die Rechnung nicht auf die Länder abwälzen.

Das 29-Euro-Ticket ist ein spezielles und beliebtes Angebot an die Berlinerinnen und Berliner. Doch um den ÖPNV noch attraktiver zu machen, gibt es noch mehr Maßnahmen: Wir müssen die Taktfrequenzen der Bahnen und Busse erhöhen, das muss auch sicherer, sauberer und bezahlbarer sein. Klar, ich hätte mir natürlich gewünscht, dass beim 29-Euro-Ticket auch der C-Bereich dabei wäre, doch dazu war Brandenburg nicht bereit.

Einige Experten meinen, es fehlt Berlin anders als Paris oder Barcelona noch an Mut zur Mobilitätswende.

Wegner: Berlin hat eine ganz andere Geschichte, das kann man nicht vergleichen. Und es fehlt und auch nicht an Mut, sondern es geht um Akzeptanz. Und dafür müssen wir sorgen. Es war vielleicht mutig, als der frühere Senat einfach Straßen gesperrt und Sachen auf die Friedrichstraße gestellt hat, die nach Sperrmüll aussahen. Das führte aber kaum zu Akzeptanz.

Klar ist auch: Die damalige Verkehrspolitik ist einer der Hauptgründe, warum ich heute Regierender Bürgermeister bin. Die Menschen in dieser Stadt haben diese Verkehrspolitik abgelehnt und auch abgewählt. Deswegen wird es mit mir keine Fortsetzung von grüner, ideologischer Verkehrspolitik mehr geben. Ich will eine Verkehrswende, wo es weniger Verbote und mehr Angebote gibt.

Als Israel Anfang Oktober von der Hamas überfallen wurde, wurden diese Angriffe in Neukölln auf der Straße gefeiert. Waren das Einzelfälle oder hat Berlin ein echtes Problem mit migrantischem Antisemitismus?

Wegner: Ganz offenkundig haben wir ein großes Problem mit Antisemitismus, Judenfeindlichkeit und Israelhass, das erleben wir derzeit leider täglich auf den Straßen Berlins. Das darf keinen Platz auf unseren Straßen haben – und wir sorgen dafür, dass es auch keinen Platz hat. Wir schützen jüdische Einrichtungen und jüdisches Leben, wo wir nur können. Und wir gehen sehr konsequent mit allen Mitteln des Rechtsstaats dagegen vor, wenn mit Hassparolen das Ermorden von Menschen und Terror in den Straßen gefeiert wird. Das macht die Berliner Polizei herausragend.

Wir haben rund 200.000 arabischstämmige Menschen in Berlin und die allermeisten von ihnen sind eben nicht auf den Straßen und wünschen sich nichts mehr als ein friedliches Zusammenleben. Sowohl im Nahen Osten als auch hier in unserer Stadt. Wer friedlich demonstrieren, und seine Trauer ausdrücken will, der hat alle Möglichkeiten dazu. Berlin ist eine bunte, vielfältige und internationale Metropole. Hass und Hetze haben aber bei uns nichts zu suchen.

„Jeder Mensch, der zu uns kommt, muss ein Dach über dem Kopf haben.“

Kai Wegner

Im September tagte die Taskforce „Unterbringung und Integration Geflüchteter“ des Senats. Die Grünen kritisieren diese als „Symbolpolitik“, auch, weil im Haushaltsentwurf kein Stellenaufwuchs für das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) vorgesehen ist. Welche konkreten Ergebnisse gibt es bisher?

Wegner: Jeder Mensch, der zu uns kommt, muss ein Dach über dem Kopf haben, das ist unsere Verantwortung. Aber auch eine Stadt wie Berlin kommt an ihre Belastungsgrenzen. Um mit dieser Situation umzugehen, haben wir die Taskforce ins Leben gerufen. Und sie kann erste Ergebnisse vorweisen: Wir haben beschlossen, dass endlich ein Bildungsangebot für die Kinder in den Großunterkünften stattfindet. Das war früher anders, die Schulpflicht wurde nicht eingehalten. Die Kinder haben vorher 24 Stunden, 7 Tage die Woche eine weiße Wand angeguckt, ohne dass da irgendwas für sie passiert ist. Und das war für mich ein inakzeptabler Zustand. Wir haben das geändert.

Alleine für die Unterkunft in Tegel bräuchten wir bis zum Jahresende für die Kinder drei komplett neue Grundschulen. Es ist schlichtweg unrealistisch, dass wir sie bis zum Ende des Jahres bauen. Ich bin deshalb froh, dass der Bund mit einem Sonderbaurecht den Ländern jetzt erlaubt, schneller zu bauen. Trotzdem wird es Jahre dauern, bis alle Schulen fertig sind. Genau deshalb brauchen wir dieses Übergangsangebot. Alleine dieses Beispiel zeigt, dass es völliger Quatsch ist zu behaupten, die Taskforce bringe nichts und sei Symbolpolitik.

Auch der Vorwurf, es gäbe keine neuen Stellen ist falsch – das Gegenteil ist richtig. Und zur Wahrheit gehört auch: Wir haben beim LAF kein Stellenproblem. Wir haben eine Menge Stellen – uns fehlt das Personal. Wir brauchen eine neue Führung des Hauses, damit es wieder funktioniert. Und daran arbeiten wir jetzt gemeinsam.

Wieso fordern Sie Sach- statt Geldleistungen für Flüchtlinge? Berlins Sozial- und Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe kritisierte dies als „symbolischen Schnellschuss“.

Wegner: Ich fordere keine Sachleistungen, sondern eine Bezahlkarte. Das heißt, dass Geflüchtete kein Bargeld mehr bekommen sollen, sondern eine Karte mit einer Summe X, mit der sie einkaufen gehen können in Berlin. Ich möchte nicht, dass die Gelder ins Ausland geschickt werden. Darüber werden wir auch im Berliner Senat sprechen. Alle Ministerpräsidenten haben das über Parteigrenzen hinweg einstimmig beschlossen, diesen Weg zu gehen. Dazu zählen im Übrigen auch Bodo Ramelow von den Linken und Winfried Kretschmann von den Grünen.

Vor kurzem hat Berlin das Wahlalter mit 16 beschlossen. Manche Kritiker, auch aus den Reihen der CDU, meinen, dass das Wahlrecht dadurch entwertet wird. Wäre es nicht konsequent, die Volljährigkeit ebenfalls auf 16 Jahre zu senken?

Wegner: Der Bund hat das Wahlalter für die Wahlen zum EU-Parlament auf 16 Jahre gesenkt – im kommenden Jahr kommt das zum ersten Mal zur Anwendung. In Berlin dürfen 16-Jährige seit Jahren auch in den Bezirken mitwählen. Die Berliner Koalitionsfraktionen haben nun dies auch für die Wahl zum Abgeordnetenhaus so geregelt. Und wir haben gleichzeitig vereinbart, dass wir das Thema politische Bildung stärken wollen. Wir müssen Schülerinnen und Schüler mehr in Sachen politische Bildung vorbereiten, auch was ihre Verantwortung als Staatsbürger bei Wahlen angeht.

Ich würde per se niemals sagen, dass 16-Jährige noch keine Reife zum Wählen haben. Oft hat das gar nicht so viel mit dem Alter zu tun, sondern mit dem Informationsstand und dem Interesse an Politik und Gesellschaft. Ich glaube, es ist der richtige Weg, junge Leute noch stärker zu beteiligen. Was die Strafmündigkeit angeht, müssen wir genau schauen, ob wir noch in den richtigen Altersgrenzen sind.

Sollte man nicht konsequenterweise auch die Volljährigkeit auf 16 Jahre senken, ähnlich wie es in den 1970ern von 21 auf 18 passierte?

Wegner: Was das Thema Strafmündigkeit angeht, finde ich tatsächlich, dass man darüber diskutieren sollte. Bei der Volljährigkeit hat sich das Alter 18 ganz gut bewährt. Wenn ich sehe, dass junge Menschen etwa mit dem Smartphone hohe Schulden machen oder durch Online-Games plötzlich horrende Rechnungen zahlen müssen, ist es schon ganz gut, wenn die volle Geschäftsfähigkeit erst mit 18 Jahren beginnt.

Angesichts der aktuellen Spannungen lässt die kommende Silvesternacht wieder Schlimmes befürchten. Welche Vorbereitungen werden getroffen und wie steht es um ein mögliches Böllerverbot?

Wegner: Wir werden uns die Böllerverbotszonen der letzten Jahre nochmal genau anschauen und prüfen. Für mich ist entscheidend, dass Verbote letztendlich auch durchgesetzt werden. Das bedeutet einen hohen Kräfteaufwand für die Berliner Polizei. Vergangene Woche fand der dritte Gipfel gegen Jugendgewalt hier in Berlin statt. Ein Thema war auch Prävention, mit der wir zur Deeskalation beitragen. Aber das alles Entscheidende ist, dass auch in der Silvesternacht Recht und Gesetz gelten.

Ich selbst werde in der Silvesternacht unterwegs bei der Berliner Polizei und Feuerwehr sein. Mir ist es wichtig, dass auch die Feuerwehrleute geschützt werden. Was letztes Jahr mit den Angriffen auf Sicherheitskräfte passiert ist, war schrecklich. Dieses Jahr wird es ein starkes Polizeiaufgebot geben. Dass es trotzdem zu der einen oder anderen Ausschreitung kommen kann, will ich nicht ausschließen, aber wir machen alles dafür, dass Berlins Sicherheits- und Rettungskräfte bestens vorbereitet sind.

Interview: Sascha Uhlig | Fotos: Makar Artemev