Quirin Graf Adelmann
Quirin Graf Adelmann. Bild: Adrian Serini

Anlass dieses Interviews ist Ihr Buch „Schwach Langsam Ideenlos. Herrschaft der Mittelmäßigkeit“, das jetzt im Verlag Das Neue Berlin erschienen ist. Dennoch gestatten Sie mir vorher die Frage: Wie geht es Ihrem DDR-Museum? Das ist ja durch das Platzen des AquaDoms im Radisson Hotel sehr in Mitleidenschaft gezogen worden.

Zu den genauen Schäden kann ich noch nichts sagen, da befinden wir uns noch in der Ermittlungsphase. Zurzeit werden die Räumlichkeiten getrocknet. Kein Exponat ist unwiederbringlich beschädigt. Unser Ziel ist, im Laufe des März kommenden Jahres, spätestens aber zum 1. April wiederzueröffnen. Wir erfahren große Anteilnahme und habe sehr viele helfende Hände, die uns das ermöglichen werden.

Wieviel echter Graf steckt in Ihnen und wie möchten Sie angesprochen werden?

Mit „Herr Adelmann“. Das reicht. In den 1990er-Jahren haben viele gedacht, ich müsse so mindestens 60 Jahre alt sein. Namensträgerin ist meine Mutter Gräfin Adelmann. Frauen werden im Adel immer herabgestuft und bei Ausbildung und Erbschaft benachteiligt. Als Nachkomme meiner Mutter steckt in mir auch deshalb keine Identifizierung eines „Grafen“, wie wir uns einen solchen noch vorstellen. Auch gab es keinerlei Vermögen, Ländereien oder Positionen aus einem Stammbaum heraus zu erben. Kurzum: Graf gehört nur zum formellen Namen.

Sie sind nicht nur Autor des Buches „Schwach. Langsam. Ideenlos – Herrschaft der Mittelmäßigkeit“, sondern unter anderem auch Mitinhaber der ältesten Berliner Spirituosenmanufaktur Mampe. Hält man diese Stadt nur aus, wenn man sie sich schön trinkt?

Es gibt auch den nüchternen „Mampe NullNull“. Es wird immer anstrengender etwas in dieser Stadt zu unternehmen. Da hilft sicherlich auch ab und an ein „Mampe Halb+Halb“, Toleranz und Geduld zu steigern.

Gab es einen konkreten Anlass, der Sie dazu gebracht hat, diese doch sehr emotionsgeladene Anklage des politischen Systems in Deutschland, vor allem aber Berlins zu schreiben?

Ich bin seit 1993 in Berlin und schaue auf die Entwicklung dieser Stadt. Ich habe schon immer mit Hürden in der Verwaltung umgehen müssen. Beispielsweise wurden uns bei der Gründung des FC Karlshost 1995 e.V. und Nutzung von Sportanlagen viele Steine in den Weg gelegt. Seinerzeit konnte man jedoch dennoch vieles starten, wenn man wollte. Heute ist das anders. Politik und Verwaltung wollen fern der Realität bestimmen, wie wir unsere Aktivitäten umsetzen müssen – in einer Art Kolchose. Wenn dann noch das Gefühl aufkommt, als wäre der Bürger Bittsteller der Behörden, wird es schwierig.

Ein Buch Cover
Cover des Buches. Es hat 224 Seiten und kostet 20 Euro. ISBN 978-3-360-02753-5
Bild: Verlag Das neue Berlin

Ich habe angefangen, einzelne Maßnahmen wie das Tourismuskonzept 2018+ zu kritisieren. Anlass dieses Buches letztlich war die Kumulation der Unvernunft in sehr kurzer Zeit der letzten drei Jahre. Es geht aber nicht allein um Politik-Schelte, sondern auch um uns Menschen insgesamt – auch Unternehmer. Konkrete Lösungsansätze sind im Buch ebenfalls beschrieben.

Sie schreiben von einer Gesellschaft in der Sinnkrise. Was meinen Sie damit?

Ich habe ein sehr breites Netzwerk von Menschen aus allen politischen Richtungen und Genrationen. Natürlich fragen wir uns alle, wofür wir unsere tägliche Zeit aufwenden. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt, können uns kommunikativ und geografisch überall hin bewegen. Geld wird einfach gedruckt , wenn man es braucht und egal wie unqualifiziert oder inkompetent jemand hier ist: Es entscheiden andere Kriterien, ob und wie Führungspositionen besetzt werden. Also resignieren viele, ziehen sich ins Private zurück.


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Wollen wir das ändern, müssen Staat und Gesellschaft wieder zu den Wurzeln zurück: Der Staat darf sich ausschließlich um unsere Infrastruktur kümmern und die Gesellschaft muss Verständnis für das Prinzip der Chancengleichheit gewinnen. Dann macht auch der Blick in die Zukunft wieder Sinn.

Der Weg zum Unternehmer

Quirin Graf Adelmann ist in Frankreich mit 10 Geschwistern aufgewachsen und Anfang der 90er Jahre nach Berlin-Oberschöneweide gezogen, um Rechtswissenschaften zu studieren und Fußball beim 1. FC Union Berlin zu spielen. Während des Studiums hat er den FC Karlshorst 1995 e.V. gegründet. Nach Abschluss an der Humboldt Universität übernahm Graf Adelmann im Jahr 2000 die Führung der Herbst Motorsport-Gruppe. 2010 machte er sich selbstständig. Zu seinem Portfolio gehörten Aktivitäten in den Bereichen Immobilien, Sozialer Wohnungsbau, Kultur, Sport, Musik, Start-ups (FinTech, GovTech & BioTech), Gastronomie, Mobilität, Bildung und Gesundheit zum Portfolio. Mit einem Umbruch 2021 reduzierte er sein Portfolio auf 25 aktive Unternehmen.

Seit Jahren feiert sich als Berlin als DIE aufstrebende Tourismusmetropole Europas. Im Buch nehmen Sie sich nun ausgerechnet als erstes die hiesige Tourismuspolitik vor. So schlecht, wie sie es beschreiben, scheint’s ja nicht zu laufen?

2019 hatte Berlin knapp 14 Millionen Besucher. Das ist natürlich zunächst ein Erfolg. Dennoch sehen wir, dass Besucher nur noch halb so lange bleiben wie fünf oder acht Jahre zuvor. Immer weniger Flüge erreichen Berlin direkt. Heute bekämpfen Politik und Verwaltung alles, was junge Besucher anzieht und bezeichnet das als „Overtourism“. Knapp 500.000 Europäer leben in dieser Stadt. Die Stärke von Berlin war bisher, dass eben auch viele junge Menschen mit eigenen Weltvorstellungen und Ideen Berlin erreichen und hier bleiben. 200.000 Studenten zählt Berlin.

Heute bekämpfen Politik und Verwaltung alles, was junge Besucher anzieht

Wenn wir aus Berlin jedoch eine regulierte Stadt mit aktiver Bekämpfung einzelner Besuchergruppen durchführen, dann wird Berlin weniger attraktiv. Viele andere Städte in Europa aber auch der Welt haben deutlich an Attraktivität gewonnen. Wir feiern hier also die Vergangenheit und verlieren den Blick auf die Zukunft.

Immer wieder thematisieren Sie – ich nehme mal das Beispiel mit der Fähre in Köpenick, dass die Behörden unternehmerische Entfaltung zugunsten einer kleinen Minderheit verhindern. Haben Sie etwas gegen Minderheiten?

Nein. Die Stärke einer Gesellschaft belegt sich immer am Schutz von Minderheiten. Minderheitenschutz geht aber nicht zu jedem Preis. Wenn die lautesten Gruppen und die kleinsten Minderheiten vorgeben, was die Mehrheit denken soll und machen darf, dann kippt dieser Schutz. Die Welt dreht sich nicht um jedes Einzelinteresse. Wenn wir also einem Koch die Nutzungsgenehmigung eines Kleinstrestaurants versagen, weil der barrierefreie Zugang von der Denkmalbehörde untersagt wird, dann geht das in der Gesamtabwägung einfach zu weit.

Sie werfen der Berliner Politik immer wieder vor, ideologiegetrieben zu sein. Was haben Sie zum Beispiel gegen mehr Platz für Fahrradfahrer auf unseren Straßen?

Ideologie darf nicht vor Vernunft stehen. Wollen wir weniger Autos auf der Straße und mehr Menschen zum Fahrrad bewegen (auch um sie körperlich fitter zu machen), dann fängt jeder vernünftig Denkende mit dem Ausbau der Infrastruktur an. Also müssen ÖPNV funktionieren und Fahrradwege gesamtkonzeptionell gedacht und umgesetzt werden. Es nutzt auch den Radfahrern nicht, wenn Aktivismus aus einer Friedrichstraße oder jetzt Charlottenstraße plötzlich ein Fahrradweg gemacht wird. Es ist ja schon lächerlich, zwei Jahre zu brauchen, um ein solches Mini-Konzept umzusetzen, obwohl Berlin einen Verwaltungsmitarbeitenden pro 17 Einwohner hat.

Es hat sich erstaunlicherweise nach der Wahl niemand aus der Politik dafür geschämt.

Wir brauchen starke Führungspersönlichkeiten, die auch die Folgen von Entscheidungen mitdenken, statt sich mit Kleinstumfragen in Inselmarketing zu rechtfertigen. Ein gutes weiteres Beispiel ist die „erste Klimastraße“ Berlins in Friedrichshain. In der schattigen Danneckerstraße sind 50 Meter abgesperrt. Was soll das? Wir brauchen die Erledigung von big points und eine große Umsetzung und keine aufwendigen Einzelmessen.

Sie arbeiten sich sehr ausführlich an den Lockdowns und deren Folgen ab, die der Staat mit Milliarden Euros abzufedern versuchte. Was hat Sie daran so gestört?

Der Cantillon-Effekt. Ich habe schon Anfang 2020 die hohe Inflation vorhergesagt. Probleme löst man nicht mit Gelddruck, sondern mit Arbeit an der Infrastruktur. Jetzt haben wir zahlreiche große Probleme, die über Generation abzuarbeiten sind. Reiche werden immer reicher und alle anderen Menschen werden ärmer, weil sie zurückzahlen müssen. Gleichzeitig sinkt die Lust des Vermögens, unternehmerische Risiken einzugehen, weil es von der Verwaltung angefeindet wird. Es gibt zahlreiche gute Alternativen zu Gelddruck.


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Und wo stehen wir heute? Trotz höchster Steuereinnahmen aller Zeiten macht der Staat neue Schulden. Was hat sich mit dem vielen Geld verbessert? Nichts: die Bundeswehr kann sich einen Tag lang verteidigen, Brücken sind einsturzgefährdet, Wasserrohre brechen, Investitionen in neue Energieinfrastruktur ist erlahmt, Schulen brechen auseinander, das Gesundheitssystem ist am Ende und Digitalisierungsprojekte liegen weit hinter internationalem Vergleich zurück. Wie viele dieser Themen hätten wir mit den gedruckten 20 Milliarden Euro im Monat lösen oder angehen können? Stattdessen wurde das viele Geld unserer Kinder und Kindeskinder für operativen Ausgleich verbrannt.

Ein Wort zu den Wahlen: Sie wussten vorher schon, dass das Ganze in die Hose geht?

Nicht vor den Wahlen. Aber als die Nachrichten über hunderte Wahllokale ohne Wahlzettel und Stimmabgaben nach 18 Uhr aufkamen, war mir das klar. Wir können uns schließlich nicht als Musterdemokratie aufschwingen, Wahlbeobachter in Drittländer schicken und Kriege gegen anti-demokratische Staaten anzetteln, wenn wir selbst nicht in der Lage sind, einfache organisatorische Wahlen umzusetzen. Es hat sich erstaunlicherweise nach der Wahl niemand aus der Politik dafür geschämt. Vielleicht sollte es eher einen gemeinnützigen Dienst der Unternehmenden dieser Stadt geben, um ein paar Jahre selbst Verantwortung zu tragen, als die Hälfte aller Abgeordneten aus Parteilisten heraus in Positionen zu spülen.

Man gäbe Ihnen 100 Tage Zeit, in Berlin etwas Grundlegendes zu verändern. Womit würden Sie beginnen?

Ich würde auf großen Teilen der sieben Millionen Quadratmeter öffentlichen Baulandes sofort mit Sozialem Wohnungsbau beginnen und in jede Baubehörde einen exekutiven Umsetzer aus Bauhandwerk und Architektur setzen, um Bau- und Nutzungsgenehmigungen innerhalb von drei Monaten zu garantieren. Wer nicht mitzieht, fliegt raus. Außerdem würde ich den ÖPNV kostenfrei stellen und Schulen ausstatten, Klassen verkleinern und jedem Bewohner in Berlin sofort eine Arbeitserlaubnis erteilen. Es braucht einen öffentlichen Transparenzzugang für alle Bürger zu sämtlichen Ergebnissen und allen Verträgen der Verwaltung. Außerdem würde ich 50 Prozent aller Subventionen streichen.

Warum sind Sie immer noch unternehmerisch tätig?

Am Anfang, um mich zu entfalten und frei zu entscheiden. Heute mehr und mehr, um auch Ideen anderer zur Umsetzung zu verhelfen und nach wie vor viel zu lernen. Es macht großen Spaß, branchenübergreifende Erfahrungen zu sammeln und Wissen weiterzugeben.

Das Interview führte Ulf Teichert