Ludwig Erhard in seinem Büro. Foto: IMAGO / Sven Simon
Ludwig Erhard in seinem Büro. Foto: IMAGO / Sven Simon

– Meinung –

    Kolumne: Der Journalist und Publizist Roland Tichy über Gedenktage.

    Im Mai und Juni hagelt es Gedenk-Feiertage; das passt zur Jahreszeit, die man mit einem Brückentag länger ­genießen kann. Der 17. Juni war im Westen Gedenktag wegen des Volksaufstands in der DDR. Dass unser nationaler Feiertag auf den 3. Oktober verlegt wurde, ist wettertechnisch eher trübe. Der 18. Juni ist wahlweise der „Geh-angeln-Tag“ und der „Tag der nachhaltigen Gastronomie“; hoffentlich herrscht Biergartenwetter, und ein Angelschein bleibt trotzdem Pflicht. Ich empfehle ein anderes Jubiläum: 75 Jahre Währungsreform und „Leitsätzegesetz“.

    Im Juni 1948 wurde die Deutsche Mark eingeführt und gleichzeitig Bewirtschaftung und Preisbindung aufgehoben. Es war die Freisetzung ­wirtschaftlicher Dynamik: Mit dem neuen Geld konnte man kalkulieren, sparen und investieren; die Inflation der Kriegszeit war vorbei. Die Preisfreigabe löste massiven Wettbewerb zwischen Unternehmen aus, die sich nicht mehr hinter staatlich festgesetzten Preisen für alles – vom Angelhaken bis Ziegelstein – verstecken konnten. Die leeren Schaufenster wurden über Nacht mit einem erstaunlichen Angebot gefüllt: Vorher hätte man gute Ware gegen schlechtes Geld verkaufen müssen, und das macht kein Mensch.

    Die damaligen West-Besatzungsmächte fürchteten ­Chaos. Ludwig Erhard, später richtiger Wirtschaftsminister und noch später Bundeskanzler, hatte die Preisfreigabe ohne Erlaubnis durchgeboxt; damals fast Hochverrat. Am 20. Juni wurde Erhard in das Frankfurter Hauptquartier zum amerikanischen Militärgouverneur Lucius D. Clay zitiert. Der herrschte ihn an: Was sei ihm eingefallen, die Besatzungsvorschriften zu missachten und sie eigenmächtig abzuändern? Ludwig Erhard parierte den Vorwurf offenherzig: „Herr General, ich habe die Vorschriften nicht abgeändert, ich habe sie abgeschafft.“

    Seither gilt Erhard als Schöpfer des westdeutschen Wirtschaftswunders. Im Foyer des Wirtschaftsministerium stand eine Bronzestatue, die ihn paus­bäckig zeigt. Diese Statue ist jetzt verschwunden. Sie war nur eine Leihgabe. Und der edle Spender, ein heute 92-jähriger, hochgeachteter Weggefährte von Ludwig Erhard, hat sie zurückgefordert, weil er Erhards Werk in der Gegenwart verraten sieht. Bleibt nur noch der „Erhard-Saal“ im Ministerium. Wie sehen Sie den Umgang mit Erhard? An Gedenktagen soll man ja diskutieren – und nicht nur angeln.

    Text: Roland Tichy