Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat einen Pflichtdienst für das Gemeinwohl ins Spiel gebracht. Dafür gibt es viele gute Gründe.
Es war mal eine Zeit, als junge Männer nach der Schule mehr als ein Jahr ihrer Lebenszeit opferten, um in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder anderen sozialen oder karitativen Einrichtungen zu helfen. Das nannte man Zivildienst. Der war nicht ganz freiwillig, sondern die Alternative zum Wehrdienst.
Im Jahr 2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Seitdem ist auch der Zivildienst Geschichte. Und der Dienst an der Gesellschaft, etwa in Form eines Freiwilligen Sozialen Jahres, allein eine Frage der persönlichen Befindlichkeit.
Immer wieder gab es Stimmen, die ein Zurück zur (zivilen) Dienstpflicht fordern. Die soll dann auch für junge Frauen gelten. Aus guten Gründen. Die Zahl der Bundesfreiwilligen geht seit Jahren zurück. Das zeigt die Grenzen von diesem und anderen Dienstmodellen auf, die allein auf guten Willen setzen. Derweil verschärft sich der Pflegenotstand zunehmend.
Blase überwinden
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich jüngst bei den Dienstpflicht-Fans eingereiht. Er beruft sich allerdings weniger auf Lücken bei der Belegschaft, vielmehr nimmt er den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Fokus.
„Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein“, so das Staatsoberhaupt in einem Zeitungsinterview. „Man kommt raus aus der eigenen Blase, trifft ganz andere Menschen, hilft Bürgern in Notlagen. Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn.“
Steinmeier hat einen wichtigen Punkt angesprochen. Dass diesem Land der Gemeinsinn abhandenkommt, ist mit Händen zu greifen und lässt sich an vielen Beispielen festmachen. Vereine, Parteien und Gewerkschaften haben massive Nachwuchsprobleme. Die Beteiligung bei Wahlen geht fast überall kontinuierlich zurück.
Und im Internet, wie auch im analogen Leben, führen Selbstsucht und Ignoranz gegenüber anderen Meinungen zu enthemmten Beschimpfungen und im Endeffekt sogar zu körperlicher Gewalt. Faschistoide Querdenker und Corona-Leugner zählen zu den besonders besorgniserregenden Vertretern verblendeter Blasen.
Ein bisschen Demut
Ein wie auch immer ausgestalteter Pflichtdienst ist kein Allheilmittel gegen Erscheinungen, die auch die Folge radikal gewandelter Arbeits- und Medienwelten sind. Wohl aber könnte er dazu beitragen, jungen Menschen, so altmodisch es auch klingt, ein Quantum Demut gegenüber der Gesellschaft angedeihen zu lassen.
Nicht im Sinne von Gehorsam, sondern eines Bewusstseins, dass es auf jeden ankommt, um unser Gemeinwesen zusammenzuhalten. Und dass es für diesen Zusammenhalt nicht genügt, allein die eigene Selbstverwirklichung oder die Befriedigung eines individuellen Hedonismus‘ im Blick zu haben.
Wo ließe sich dieses Bewusstsein besser entwickeln als an einem Ort, wo sich Menschen nicht mehr selbst helfen können?
Text: Nils Michaelis